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Reuben Fine, AVRO 1938
Oli1970 - 03. Mär '22
In der ersten Runde des AVRO-Turniers 1938 spielten Reuben Fine und Mikhail Botvinnik gegeneinander. Die niederländische Rundfunkgesellschaft AVRO trat als Sponsor des Turniers auf, bei dem die acht nach allgemeiner Meinung stärksten Schachspieler der Welt einschließlich Aljechins antraten, um den Herausforderer des Weltmeisters Aljechin zu ermitteln. Zum Turnier gibt u. a. Wikipedia etwas Hintergrundwissen ( de.wikipedia.org/wiki/AVRO-Turnier), ebenso zu Reuben Fine, der zweifellos das Zeug zum Weltmeister hatte ( de.wikipedia.org/wiki/Reuben_Fine).
Ein Artikel über Reuben Fine ( chess.com/de/article/view/die-vergessene-nummer-1-der-welt) enthält die nachfolgende Partie gegen Botvinnik, dort mit den Anmerkungen von Fine selbst. Fine gelingt es, Botvinnik schon in der Anfangsphase der Partie zu überspielen. Botvinnik erobert einen Mehrbauern, kann ihn jedoch nicht zu seinem Vorteil verwerten. Schnell zeigt sich, dass Fine einen Entwicklungsvorsprung herausgespielt hat, während Botvinnik kaum freie Felder für seine Figuren findet. Einen groben Patzer kann man ihm eigentlich nicht anlasten, es ist eher so, dass er nach einer schlechten Eröffnungsphase immer tiefer in einen Strudel gezogen wird. Dass er die Partie nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt aufgegeben hat, ist sicherlich dadurch zu erklären, dass er Herausforderer des Weltmeisters werden und nicht mit einer Niederlage in das Turnier starten wollte.
Aus dem AVRO-Turnier findet sich auf chessmail bereits die von Vabanque kommentierte Partie Botvinnik - Reshevsky: /forum/topic.html?key=caf8c99ce659697ab































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Ein Artikel über Reuben Fine ( chess.com/de/article/view/die-vergessene-nummer-1-der-welt) enthält die nachfolgende Partie gegen Botvinnik, dort mit den Anmerkungen von Fine selbst. Fine gelingt es, Botvinnik schon in der Anfangsphase der Partie zu überspielen. Botvinnik erobert einen Mehrbauern, kann ihn jedoch nicht zu seinem Vorteil verwerten. Schnell zeigt sich, dass Fine einen Entwicklungsvorsprung herausgespielt hat, während Botvinnik kaum freie Felder für seine Figuren findet. Einen groben Patzer kann man ihm eigentlich nicht anlasten, es ist eher so, dass er nach einer schlechten Eröffnungsphase immer tiefer in einen Strudel gezogen wird. Dass er die Partie nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt aufgegeben hat, ist sicherlich dadurch zu erklären, dass er Herausforderer des Weltmeisters werden und nicht mit einer Niederlage in das Turnier starten wollte.
Aus dem AVRO-Turnier findet sich auf chessmail bereits die von Vabanque kommentierte Partie Botvinnik - Reshevsky: /forum/topic.html?key=caf8c99ce659697ab
Fine, Reuben Botvinnik, Mikhail URS AVRO | The Netherlands | 1 | 1938.11.06 | C17 | 1:0
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4
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a
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h

1. e4 e6 2. d4 d5 3. Sc3 Lb4 Französisch, Winawer-Variante. 4. e5 c5 5. xc5 Eine vorbereitete Variante von Fine. Üblicherweise wird a3 gespielt. Se7
Lxc5 6. Dg4 mit Drohung gegen g7. Allerdings tun beide Seiten gut daran, zunächst die Entwicklung ihrer Figuren fortzusetzen. Schwarzes Bg6 bedeutet Entwicklungsnachteil, weißer Bauernraub nach Se7 nebst Sg6 ebenso.
d4? darf Schwarz keinesfalls spielen; er geriete bereits jetzt in erheblichen Nachteil. 6. a3! Die Möglichkeiten für Schwarz: Lxc3+ Objektiv noch die beste Lösung.
6. Sf3 Sbc6 7. Ld3 d4 Botvinnik will schon in der Eröffnungsphase Druck machen. Den Bauern kann er durch Lxc5 immer noch zurück gewinnen. Der Textzug ist die beste Wahl, ebenso die nächstfolgenden Züge beider Seiten, zu denen die Alternativen verlieren oder zumindest die Stellung deutlich verschlechtern. 8. a3! Die einzig richtige Fortsetzung. La5 9. b4 Sxb4 Ein vorübergehendes Springeropfer, denn Schwarz darf davon ausgehen, dafür dank der zusätzlichen Deckung durch Bd4 den Sc3 zu erhalten. 10. xb4 Lxb4 11. Lb5+!? In der Regel erfolgt stattdessen die kurze Rochade. Fine verweist darauf, dass er eine Variante vorbereitet habe. Sc6? Botvinnik geht ins Netz. Ld7 hätte Vorteil bedeutet. 12. Lxc6+! xc6 13. Ta4! Lxc3+ Erzwungen, da der Läufer selbst nicht fort kann und nur Tb8 als mögliche Deckung infrage kommt. 14. Ld2 Fine hat für seinen Einsatz deutlichen Entwicklungsvorsprung bekommen. Schwarz hat trotz Mehrbauer kein Spiel mehr: Der weißfeldrige Läufer spielt nicht mit, der schwarzfeldrige ist zur Bewegungslosigkeit verdammt, der Abtausch gegen Ld2 ist wieder von weißem Vorteil. f6 Schwarz greift Be5 an, um anschließend nach e6-e5 seinen Läufer zu aktivieren. 15. O-O O-O 16. Lxc3 Abtausch zugunsten eigener Beweglichkeit, der vorgerückte Bauer hat keine Unterstützung, ist blockiert und damit keine Gefahr. xc3 17. De1 Damentausch gäbe Schwarz kostenlos die offene Linie für seinen Turm; von e1 hat die Dame sowohl e5 als auch c3 im Blick. Dass die beiden Bauern auf einer gemeinsamen Diagonale liegen, erlaubt zeitgleich Angriff und Verteidigung. a5 Erlaubt Ta7 nebst Td7 oder auch Tb8 nebst Tb5. Dennoch war fxe5 vorzuziehen. 18. Dxc3 La6 19. Tfa1 Lb5 20. Td4 Fine passt auf! De7 21. Td6 a4 Bindet den Turm an die Linie. 22. De3! Fine plant, den a-Bauern zu gewinnen: 23. Sd2 ~ 24. c4 La6 25. Txa4, da Ta8 jetzt ja durch seinen Läufer blockiert ist. Ta7 23. Sd2 a3 Botvinnik erkennt, dass der Läufer nach La6 wieder eingesperrt ist und strebt daher La4 an. 24. c4 La4 25. xf6 Stellt die Abholung des a-Bauern zunächst zurück. Dxf6 Es ist alles unbequem für Schwarz. 26. Txa3 Te8 Schwarz hat keine guten Züge mehr, verhindert nur Txe6. 27. h3 Ein Schlupfloch gegen Db2 nebst Db1, da nachfolgend der Springer bewegt werden wird. Taa8 28. Sf3 Db2 29. Se5 Db1+ 30. Kh2 Df5 31. Dg3 Botvinnik gab auf. Das Schlusswort haben die Spieler: 'Es sind zu viele Drohungen auf dem Brett und Schwarz kann die siebte Reihe nicht verteidigen.'--Fine 'Schwarz hat überhaupt keinen vernünftigen Zug und es droht Tf3. Eine Kombination aus hervorragenden strategischen Ideen mit taktischen Feinheiten.'--Botvinnik Lxc5 7. Se4 Dd5 8. Ld3± Sd7 9. Sf3 Sxe5 Für diese Linie spricht, dass Weiß nun zwingend 10.c4 finden muss, damit der Vorteil erhalten bleibt. 10. c4! Weiß hat die bessere Stellung, da mehr Figuren entwickelt sind und Schwarz langsam überlastet wird.
7. xc3 Da5 8. Dxd4
Tschechov - 03. Mär '22
Seltsam, daß Botwinnik nicht den Abtausch der weißfeldrigen Läufer angestrebt hat, sondern das Schachgebot stattdessen durch den Springer beendet. Ich bin, wenn ich Französisch spiele, meistens froh, wenn Weiß mir einen solchen Tausch anbietet. Was jetzt nicht heißen soll, ich wäre ein besserer Spieler als Botwinnik.
Vabanque - 03. Mär '22
Fine siegt hier durch größere Beweglichkeit bzw. Aktivität seiner Figuren. Man schaue sich nur mal in der Schlussstellung den weißen Se5 im Gegensatz zu dem schwarzen La4, der im Abseits steht und dort die Rolle eines unbeteiligten Zuschauers spielt, an. Weiß würde dann noch Tf3 nebst ggf. Tf7 folgen lassen und damit die letzte Figur in den Angriff einreihen. Td7 liegt auch noch in der Luft.
Interessant ist im historischen Zusammenhang noch, dass Fine seine Teilnahme am AVRO-Turnier ursprünglich absagen wollte, da er zu diesem Zeitpunkt schon vorhatte, seine kurze Schachkarriere zu beenden (was er ein paar Jahre später leider auch tat). Gut, dass eine Absage nicht mehr möglich war, denn er gewann das Turnier punktgleich mit Keres, mit einem Punkt Vorsprung vor Botwinnik, und mit 1,5 Punkten vor Aljechin, Reshevsky und Euwe.
Wäre es damals wirklich zu einem WM-Kampf Aljechin-Fine gekommen, Fine hätte gute Chancen gehabt, Weltmeister zu werden. Aber da er seine Karriere frühzeitig abbrach, ist er heute nahezu vergessen.
Interessant ist im historischen Zusammenhang noch, dass Fine seine Teilnahme am AVRO-Turnier ursprünglich absagen wollte, da er zu diesem Zeitpunkt schon vorhatte, seine kurze Schachkarriere zu beenden (was er ein paar Jahre später leider auch tat). Gut, dass eine Absage nicht mehr möglich war, denn er gewann das Turnier punktgleich mit Keres, mit einem Punkt Vorsprung vor Botwinnik, und mit 1,5 Punkten vor Aljechin, Reshevsky und Euwe.
Wäre es damals wirklich zu einem WM-Kampf Aljechin-Fine gekommen, Fine hätte gute Chancen gehabt, Weltmeister zu werden. Aber da er seine Karriere frühzeitig abbrach, ist er heute nahezu vergessen.
Vabanque - 03. Mär '22
>>Tschechov - vor 1 Min.
Seltsam, daß Botwinnik nicht den Abtausch der weißfeldrigen Läufer angestrebt hat, sondern das Schachgebot stattdessen durch den Springer beendet. Ich bin, wenn ich Französisch spiele, meistens froh, wenn Weiß mir einen solchen Tausch anbietet. Was jetzt nicht heißen soll, ich wäre ein besserer Spieler als Botwinnik.<<
Ach, echt nicht?😜
Du meinst wahrscheinlich den 11. Zug von Schwarz. Ja, schon etwas verwunderlich, dass Botwinnik hier nicht Ld7 spielt. Du hast natürlich Recht, im Französischen ist der Lc8 immer das Sorgenkind des Schwarzen und man sollte immer dessen Tausch anstreben, wenn er ohne Nachteil geschehen kann. Vermutlich dachte Botwinnik fälschlicherweise, Sc6 sei besser, weil er nämlich Ta4 übersehen hatte.
Seltsam, daß Botwinnik nicht den Abtausch der weißfeldrigen Läufer angestrebt hat, sondern das Schachgebot stattdessen durch den Springer beendet. Ich bin, wenn ich Französisch spiele, meistens froh, wenn Weiß mir einen solchen Tausch anbietet. Was jetzt nicht heißen soll, ich wäre ein besserer Spieler als Botwinnik.<<
Ach, echt nicht?😜
Du meinst wahrscheinlich den 11. Zug von Schwarz. Ja, schon etwas verwunderlich, dass Botwinnik hier nicht Ld7 spielt. Du hast natürlich Recht, im Französischen ist der Lc8 immer das Sorgenkind des Schwarzen und man sollte immer dessen Tausch anstreben, wenn er ohne Nachteil geschehen kann. Vermutlich dachte Botwinnik fälschlicherweise, Sc6 sei besser, weil er nämlich Ta4 übersehen hatte.
Oli1970 - 03. Mär '22
Erstmal danke für Eure Beschäftigung mit den Partien.
Mit 11. Lb5+ hat Fine, soweit ich das prüfen kann, eine Neuerung gespielt. Demnach hätte Botwinnik die Umgehung für Fines Falle am Brett finden müssen. Allerdings muss man sagen, dass Botwinnik ein Französisch-Kenner war, so dass sein Reinfall dann doch wieder verwundert.
Mit 11. Lb5+ hat Fine, soweit ich das prüfen kann, eine Neuerung gespielt. Demnach hätte Botwinnik die Umgehung für Fines Falle am Brett finden müssen. Allerdings muss man sagen, dass Botwinnik ein Französisch-Kenner war, so dass sein Reinfall dann doch wieder verwundert.
Vabanque - 03. Mär '22
Nun, das zeigt eigentlich nur, wie kompliziert die nach dem 11. Zug entstandene Stellung tatsächlich schon ist.
Alapin2 - 03. Mär '22
Oli: Erstmal Danke für die große Mühe dieser hervorragenden Kommentierung! 👍👏👏.
Eine hervorragende Positionspartie, ganz ohne "langweilige Momente", wie sie manchmal in diesem Genre vorkommen.
Botwinnik war sicherlich ein "Französisch - Kenner", allerdings kenne ich eigentlich nur e6-Partien von ihm, wo er überspielt wurde (Tal, Smyslow, sogar Unzicker). Anders als z. B. Uhlmann oder Kortschnoi.
P. S. : An wen habe ich bloß das AVRO 1938 - Buch verliehen?? Ärgern, Ärgern!
P. P. S : Hatte nicht auch Reuben Fine mal ein Super-Schachbuch geschrieben?? Erinnere mich nur dunkel. Manchmal wollen die Leute ihren Besitz zuuu schnell zurückhaben. 😢
Eine hervorragende Positionspartie, ganz ohne "langweilige Momente", wie sie manchmal in diesem Genre vorkommen.
Botwinnik war sicherlich ein "Französisch - Kenner", allerdings kenne ich eigentlich nur e6-Partien von ihm, wo er überspielt wurde (Tal, Smyslow, sogar Unzicker). Anders als z. B. Uhlmann oder Kortschnoi.
P. S. : An wen habe ich bloß das AVRO 1938 - Buch verliehen?? Ärgern, Ärgern!
P. P. S : Hatte nicht auch Reuben Fine mal ein Super-Schachbuch geschrieben?? Erinnere mich nur dunkel. Manchmal wollen die Leute ihren Besitz zuuu schnell zurückhaben. 😢
Vabanque - 03. Mär '22
Fine hat ziemlich viele Bücher geschrieben😉
Ja, die Niederlage mit Französisch gegen Unzicker war so drastisch, dass Botwinnik ab da an nie wieder Französisch spielte!
Aber: er hat schon auch mit Französisch gewonnen, z.B. gegen Bondarevsky 1941, gegen Tolusch 1945 und sogar gegen Smyslov 1944 (die beiden haben etliche Französisch-Partien miteinander gewechselt).
Ja, die Niederlage mit Französisch gegen Unzicker war so drastisch, dass Botwinnik ab da an nie wieder Französisch spielte!
Aber: er hat schon auch mit Französisch gewonnen, z.B. gegen Bondarevsky 1941, gegen Tolusch 1945 und sogar gegen Smyslov 1944 (die beiden haben etliche Französisch-Partien miteinander gewechselt).
Oli1970 - 03. Mär '22
Zum AVRO 1938 habe ich noch einen Auszug aus einem Artikel aus KARL-Magazin 4/10 gefunden: karlonline.org/410_2
Vabanque hat mir Fines Bücher "Lessons from My Games - A Passion from Chess" und "Chess Marches On!" empfohlen, die nun seit dem letzten Wochenende mein Bücherregal zieren. Beide Bücher enthalten mehr oder weniger lange Abschnitte mit Informationen zu Spielern und Turnieren und natürlich Spielkommentierungen von Fine. Wie die Titel vermuten lassen, nicht übersetzt und auch mit originaler deskriptiver Transkription, erschienen bei Ishi Press zum Preis von je 19,- € als Paperback-Ausgaben. Die Empfehlung gebe ich gerne weiter. Wer sich, wie ich, für Hintergrundinformationen interessiert, wird seine Freude mit den Büchern haben.
Vabanque hat mir Fines Bücher "Lessons from My Games - A Passion from Chess" und "Chess Marches On!" empfohlen, die nun seit dem letzten Wochenende mein Bücherregal zieren. Beide Bücher enthalten mehr oder weniger lange Abschnitte mit Informationen zu Spielern und Turnieren und natürlich Spielkommentierungen von Fine. Wie die Titel vermuten lassen, nicht übersetzt und auch mit originaler deskriptiver Transkription, erschienen bei Ishi Press zum Preis von je 19,- € als Paperback-Ausgaben. Die Empfehlung gebe ich gerne weiter. Wer sich, wie ich, für Hintergrundinformationen interessiert, wird seine Freude mit den Büchern haben.