Games with comments
Große Partien ... (XXXII): Botwinnik - Reshevsky 1938
Vabanque - 24. Jun '14
Bereits 12 Jahre bevor Botwinnik Weltmeister wurde, hatte er im Turnier zu Nottingham 1936 einen großen Auftritt: er wurde Erster (punktgleich mit Capablanca) und ließ unter anderem Aljechin und Lasker klar hinter sich. Zwei Jahre später, im AVRO-Turnier von 1938, in dem ausschließlich die damals stärksten Spieler der Welt versammelt waren, landete er zwar 'nur' auf Platz 3 (hinter dem neuen Stern Paul Keres und dem punktgleichen Amerikaner Reuben Fine), verwies aber die Ex-Weltmeister Capablanca und Aljechin diesmal sehr klar auf die Plätze. Überdies spielte er dort einige der besten Partien seiner gesamten Karriere.
Botwinnik wird oft als trockener Positionsspieler gesehen, aber wie die folgende Partie aus dem erwähnten AVRO-Turnier zeigt, konnte er bei passender Gelegenheit auch flott kombinieren.































PGN anzeigen
Botwinnik wird oft als trockener Positionsspieler gesehen, aber wie die folgende Partie aus dem erwähnten AVRO-Turnier zeigt, konnte er bei passender Gelegenheit auch flott kombinieren.
Mikhail Botvinnik Samuel Reshevsky AVRO | The Netherlands | 3 | 1938.11.10 | A25 | 1:0
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. c4 e5 2. Sc3 Sc6 3. g3 g6 4. Lg2 Lg7 5. e3 d6 6. Sge2 Sge7 7. d4 xd4 8. xd4 O-O 9. O-O Sf5 Die Stellung sieht sehr ausgeglichen aus, und ist es wahrscheinlich auch, aber in der Folge zeigt es sich, dass es selbst so einem großen Spieler wie Reshevsky nicht gelingt, einen brauchbaren Plan für Schwarz zu finden, während Botwinnik mit 'einfachen' Zügen seine Stellung immer weiter verstärkt. 10. d5 Se5 11. b3 a5 Der damit eingeleitete Plan, den Springer nach c5 zu bringen, ist zweifelhaft, weil sich der Springer dort nicht halten kann, wie man gleich sehen wird. 12. Lb2 Sd7 13. a3 Sc5 14. b4 Sd7 15. Db3 Sd4?! In beengten Stellungen Figurentausch anzustreben, ist ja normalerweise eine empfehlenswerte Politik. Hier aber tauscht Schwarz eigentlich seine aktivste Figur, und gibt obendrein dem weißen Turm Gelegenheit, sich mit Tempo (Angriff auf den Ld4) besser zu stellen. 16. Sxd4 Lxd4 17. Tad1 Lg7 18. Tfe1 Jedenfalls ist hier etwas für Schwarz schief gelaufen, denn Weiß hat eine klassisch-ideale und harmonische Vollentwicklung aller Streitkräfte erreicht! xb4 19. xb4 Sf6 20. h3! Nimmt dem Schwarzen das Feld g4, und beabsichtigt im Fall von Lc8-f5 mit g3-g4 zu antworten. h5?! Schwarz möchte seinem Läufer dennoch das 'schöne' Feld f5 sichern, statt sich mit dem unbefriedigenden (aber besseren) Ld7 zufrieden zu geben. 21. c5! Weiß beginnt sich zu regen. Lf5 Schwarz beharrt auf seinem Plan. Andernfalls hätte der Zug h5 ja gar keinen Sinn gehabt. Trotzdem war Ld7 auch hier noch besser. 22. Sb5! Der weiße Druck am Damenflügel wird unangenehm fühlbar. Ld7 Der Läufer hat seine Meinung geändert! Er fragt den Sb5 mal an (eine andere Form der Befragung ist ja nicht möglich). Aber es nützt nichts, wie die weiße Antwort sofort beweist. 23. c6! xc6 24. xc6 Auf Lf5 wäre jetzt Sd4 unangenehm, trotzdem wäre das immer noch besser gewesen als die Textfortsetzung. Auf das scheinbar attraktive 24... Le6 wäre das Qualitätsopfer 25. Txe6! fxe6 26. Sd4! sehr stark. Lc8 Obwohl Physiker, widerstehe ich hier der Versuchung zu schreiben: 'Der Läufer vollführt eine gedämpfte harmonische Schwingung.' 25. Sxd6!! Diese Kombination beruht auf der freundlichen Unterstützung des Lg2: falls 25... cxd6 26. c7! Dxc7 27. Lxa8 Le6 (weiße Dame und La8 sind jetzt angegriffen) 28. Da3 (die angegriffene Dame deckt den La8) behält Weiß eine Mehrqualität. Etwas besser, aber ebenfalls nicht ausreichend, ist in dieser Variante 27... Lxh3. Le6 Der Läufer schwingt weiter; widerlegt dies etwa die weiße Kombination? Nein, denn jedenfalls war hier bereits 26. Sc4 möglich, auch wenn das für Weiß zunächst nur einen mageren Mehrbauern ergeben hätte, und niemand gerne mit einer Figur direkt in die Fesselung zieht (obwohl hier anscheinend nichts passieren könnte). 26. Txe6! Das jedoch ist viel stärker als Sc4, und die eigentliche Pointe kommt erst noch! xe6 Jetzt nämlich keinesfalls 27. Dxe6+ Kh7, denn dann wäre der Td1 plötzlich ungedeckt, und der Sd6 könnte nicht mehr ziehen! 27. Sf5! Schön und überraschend. Die schwarze Dame muss ziehen, Weiß tauscht den Lg7, wodurch eine unheilvolle Fesselstellung entsteht. De8 Natürlich nicht nach c8 wegen der Springergabel auf e7. Und nach Db8 käme es schlimmer als in der Partie, weil die schwarze Dame vom Königsflügel abgeschnitten wäre. Der Versuch, die Dame mit 27... Dxd1+ 28. Dxd1 exf5 zu geben, würde auf Dauer ebenfalls verlieren. 28. Sxg7 Kxg7 29. Td7+ Jetzt sehen wir den Nutzen der ganzen Aktion. Wegen der Fesselung des Sf6 (und gestützt auf den starken Arm des Bauern c6) kann der Td7 so eindringen. Würde er jetzt noch den Bauern c7 verspeisen, hätte Weiß mit den beiden verbundenen Freibauern c6 und b4 einen leichten Gewinn. Tf7 30. Le5! Wieder ist die Eroberung des Bauern c7 das Ziel. Deckt Schwarz den jetzt mit Tc8, kommt Df3!, und der Sf6 ist verloren. Weiß kann sich den stillen 'Verstärkungszug' Le5 auch deswegen leisten, weil Schwarz die Türme auf d7 nicht tauschen darf, nach Txd7 cxd7 ginge (wieder ein Dank an den Lg2) der Ta8 verloren. Kg8 Schwarz geht aus der Fesselung, aber nun wird der Bauer c6 frei. Die Partie ist damit endgültig entschieden. Es gibt aber noch einen hübschen Schlusswitz. 31. Txc7 Txc7 32. Lxc7 Ta1+ 33. Kh2 Ta7 34. Le5 Tf7 35. c7 Sd7 36. Dc2! Blickt nach c8 (Bauernumwandlung) und g6! Tf8 Deckt scheinbar beides. 37. c8=Q! Nein! Schwarz kann nicht auf c8 nehmen wegen Dxg6 matt! Schwarz gab auf. Eine Partie wie aus einem Guss, die durch die Verbindung positioneller und kombinatorischer Elemente einen sehr ästhetischen und abgerundeten Eindruck hinterlässt.
cutter - 24. Jun '14
Mögest du uns lang erhalten bleiben!
Genießende Grüße
cutter
Genießende Grüße
cutter
Kellerdrache - 26. Jun '14
Ja, am Anfang war Botwinniks Spielweise auch noch deutlich flexibler. Später wurde er sozusagen zum Erfinder des modernen, systematischen Schachs ohne je so dogmatisch zu werden wie der Herr Tarrasch in Deutschland.
Eigentlich ist bei vielen Spielern in Laufe der Jahre eine Änderung der Spielweise festzustellen. Tals Partieanlage wurde mit zunehmendem Alter auch solider, ohne den taktischen Scharfblick zu verlieren.
Eigentlich ist bei vielen Spielern in Laufe der Jahre eine Änderung der Spielweise festzustellen. Tals Partieanlage wurde mit zunehmendem Alter auch solider, ohne den taktischen Scharfblick zu verlieren.
Vabanque - 26. Jun '14
'Systematisch' bzw. 'methodisch' ist sicher eine passende Charakterisierung sowohl von Tarraschs als auch Botwinniks Spielweise. Ob Botwinnik weniger dogmatisch war als Tarrasch, mag nun allerdings dahingestellt bleiben.
Bei beiden Spielern finde ich die Partien aus der Frühphase deutlich am attraktivsten.
Das gilt aber für viele Spieler, die am Anfang viel mehr experimentiert haben als später.
Selbst bei Keres und Kasparov beobachte ich das Gleiche wie du bei Tal: die späteren Partien sind mehr positionell angelegt, in den frühen Partien ist immer 'was los', und dadurch machen sie beim Nachspielen mehr Spaß :)
Bei beiden Spielern finde ich die Partien aus der Frühphase deutlich am attraktivsten.
Das gilt aber für viele Spieler, die am Anfang viel mehr experimentiert haben als später.
Selbst bei Keres und Kasparov beobachte ich das Gleiche wie du bei Tal: die späteren Partien sind mehr positionell angelegt, in den frühen Partien ist immer 'was los', und dadurch machen sie beim Nachspielen mehr Spaß :)