Games with comments

Weniger übliche Eröffnungen II: 1. e4 e5 2. Sf3 d5

Vabanque - 21. Jan '24
Das Mittelgambit im Nachzug 1. e4 e5 2. Sf3 d5, manchmal aus unerfindlichen Gründen auch 'Elefantengambit' genannt (obwohl dann andererseits auch das völlig wüste 1. e4 f5??! 3. exf5 Kf7!? mit diesem Namen belegt wird!), gilt im Allgemeinen nicht als empfehlenswerte Spielweise, da Schwarz das Zentrum zu früh öffnet. In offenen Spielen (1. e4 e5) sollte Schwarz den Zug d7-d5 normalerweise erst nach entsprechender Vorbereitung spielen.

Welche Chancen Schwarz allerdings bei ungenauem Spiel von Weiß erhält, zeigt die folgende Kurzpartie aus Spanien. Weiß macht ganz natürliche, ja scheinbar selbstverständliche Züge und kommt schnell in Nachteil.

Man kann an dieser Partie auch das typische Phänomen beobachten, dass Weiß mehrfach Fortsetzungen vermeidet, die offensichtlich für ihn unangenehm sind, aber dann letztlich Züge spielt, die noch viel schlimmer für ihn ausgehen. Dies passiert eben sehr häufig in bereits nachteiligen Stellungen: Hat man nur noch die Wahl zwischen schlechten Fortsetzungen, findet man das kleinste Übel nicht und wählt am Ende das größte.

Villato Ganzo 1959 | C40 | 0:1
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. e4 e5 2. Sf3 d5 3. xd5 Dies gilt eigentlich als die Hauptvariante, aber auch 3. Sxe5 ist gut (und wohl auch einfacher für Weiß zu spielen!) und wird das Thema einer später gezeigten Partie sein. e4 4. De2 Sf6 5. d3 Dxd5 6. Sc3 Dieser 'selbstverständliche' Zug ist wegen der folgenden Fesselung, die Schwarz schnell zur Rochade kommen lässt, nicht der beste.
Mit 6. Sbd2
oder sogar 6. Sfd2 (um sich die Möglichkeit Sc3 zu erhalten!) kann Weiß die Fesselung durch Lb4 von vorne herein vermeiden und auf Eroberung des e-Bauern spielen. Freilich muss er dann trotzdem noch aufpassen, um später seine etwas verschlungene Figurenstellung wieder zu entwirren.
Lb4 7. Ld2
Wieder ein 'selbstverständlicher' Zug. Aber auch hier war noch 7. Sd2 besser.
Lxc3 8. Lxc3 O-O 9. Sd2? Damit kommt Weiß bereits in Nachteil.
Einzig 9. xe4! Sxe4 10. Td1 war richtig.
Nicht aber 9. Lxf6?? xf3 und Weiß verliert eine Figur, ein Fehler, der schon sehr oft vorkam (auch ich habe so mit Schwarz schon einmal so gewonnen!)
xd3 Schwarz öffnet die e-Linie, und die Schwierigkeiten von Weiß beginnen. 10. Dxd3 Te8+ 11. Kd1?
Natürlich hat Weiß 11. Le2 Dxd3 12. xd3 Lf5 nicht gefallen; erstens hat er einen isolierten Bauern auf d3, und dann ist er wegen der Drohung Lxd3 auch schon zu Kd1 oder Kf1 gezwungen, um die Fesselung des Le2 aufzuheben. Trotzdem war das immer noch besser als der Textzug und gab Weiß Chancen, die Partie zu halten.
Sg4! Wegen der Drohung Sxf2+ nebst Te1# kann Schwarz seine Dame hängen lassen. Und das Schlimme für Weiß ist, dass es keine gute Deckung von f2 gibt! An dieser Stelle ist Weiß bereits verloren. 12. Ld4? Führt zu einem schleunigen Zusammenbruch.
12. Dg3 Dc5 und f2 ist nicht zu decken.
Relativ am besten, wenn auch unzureichend, war noch 12. Dd4 Dxd4 13. Lxd4 Sc6 14. Lc5 Te5 15. Le3 Sxe3+ 16. xe3 Txe3 mit schwarzem Mehrbauer bei überlegener Stellung (es droht schon Lg4+).
Sc6 13. h3 Bereits Verzweiflung.
Nach 13. Le3 käme nämlich Txe3! , wieder mit der Drohung Sxf2+ nebst Te1# wie oben.
Lf5 14. Dc3 Sxd4 15. xg4 Lxc2+ 16. Dxc2
16. Kc1 Te1#
Te1+ Noch stärker als gleich die Dame zu nehmen.
Die Folge Te1+ 17. Kxe1 Sxc2+ 18. Kd1 Sxa1 nebst Td8 wollte Weiß dann doch nicht mehr erleben und gab lieber auf.
PGN anzeigen[Event "?"]
[Site "?"]
[Date "1959"]
[Round "?"]
[White "Villato"]
[Black "Ganzo"]
[Result "0-1"]
[ECO "C40"]

1. e4 e5 2. Nf3 d5 3. exd5 {Dies gilt eigentlich als die Hauptvariante, aber
auch 3. Sxe5 ist gut (und wohl auch einfacher für Weiß zu spielen!) und wird das Thema einer später gezeigten Partie sein.}
3... e4 4. Qe2 Nf6 5. d3 Qxd5 6. Nc3 {Dieser 'selbstverständliche' Zug ist
wegen der folgenden Fesselung, die Schwarz schnell zur Rochade kommen lässt,
nicht der beste.} ( {Mit} 6. Nbd2) ( {oder sogar} 6. Nfd2 {(um sich die
Möglichkeit Sc3 zu erhalten!) kann Weiß die Fesselung durch Lb4 von vorne herein vermeiden und auf Eroberung des e-Bauern spielen. Freilich muss er dann trotzdem noch aufpassen, um später seine etwas verschlungene Figurenstellung wieder zu entwirren.} )
6... Bb4 7. Bd2 ( {Wieder ein 'selbstverständlicher' Zug. Aber auch hier war noch} 7. Nd2 {besser.} ) 7... Bxc3 8. Bxc3 O-O 9.
Nd2 $2 {Damit kommt Weiß bereits in Nachteil.} ( {Einzig} 9. dxe4 $1 Nxe4 10.
Rd1 {war richtig.} ) ( {Nicht aber} 9. Bxf6 $4 exf3 {und Weiß verliert eine
Figur, ein Fehler, der schon sehr oft vorkam (auch ich habe so mit Schwarz
schon einmal so gewonnen!)} ) 9... exd3 {Schwarz öffnet die e-Linie, und die
Schwierigkeiten von Weiß beginnen.} 10. Qxd3 Re8+ 11. Kd1 $2 ( {Natürlich hat
Weiß} 11. Be2 Qxd3 12. cxd3 Bf5 {nicht gefallen; erstens hat er einen
isolierten Bauern auf d3, und dann ist er wegen der Drohung Lxd3 auch schon zu
Kd1 oder Kf1 gezwungen, um die Fesselung des Le2 aufzuheben. Trotzdem war das
immer noch besser als der Textzug und gab Weiß Chancen, die Partie zu halten.} ) 11... Ng4 $1 {Wegen der Drohung Sxf2+
nebst Te1# kann Schwarz seine Dame hängen lassen. Und das Schlimme für Weiß
ist, dass es keine gute Deckung von f2 gibt! An dieser Stelle ist Weiß bereits verloren.}
12. Bd4 $2 {Führt zu einem schleunigen Zusammenbruch.} (12. Qg3 Qc5 {und f2
ist nicht zu decken.} ) ( {Relativ am besten, wenn auch unzureichend, war noch} 12.
Qd4 Qxd4 13. Bxd4 Nc6 14. Bc5 Re5 15. Be3 Nxe3+ 16. fxe3 Rxe3 {mit schwarzem
Mehrbauer bei überlegener Stellung (es droht schon Lg4+).} ) 12... Nc6 13. h3
{Bereits Verzweiflung.} ( {Nach} 13. Be3 {käme nämlich} 13... Rxe3 $1 {,
wieder mit der Drohung Sxf2+ nebst Te1# wie oben.} ) 13... Bf5 14. Qc3 Nxd4 15.
hxg4 Bxc2+ 16. Qxc2 (16. Kc1 Re1#) 16... Re1+ {Noch stärker als gleich die Dame
zu nehmen.} ( {Die Folge} 16... Re1+ 17. Kxe1 Nxc2+ 18. Kd1 Nxa1 {nebst Td8
wollte Weiß dann doch nicht mehr erleben und gab lieber auf.} ) 0-1
Oli1970 - 23. Jan '24
Ich habe die Partie jetzt mal schnell (wirklich schnell) überflogen. Um kurz auf Deine Frage in dem anderen Thread Bezug zu nehmen - m. E. kann man nicht viel dazu schreiben. Die Partie ist eigentlich eine große Eröffnungsfalle. Alle „natürlichen“ Züge führen tiefer ins Verderben.
Aber auch wenn man (vielleicht) nicht viel schreiben kann, sind solche Beispiele durchaus nett anzuschauen. Ich bin leider noch nicht dazu gekommen , meine Liste zu aktualisieren. Mache ich noch bei Gelegenheit.
Vabanque - 24. Jan '24
>> Die Partie ist eigentlich eine große Eröffnungsfalle. Alle „natürlichen“ Züge führen tiefer ins Verderben.<<

Ich denke, das trifft es ganz genau👍

>>Aber auch wenn man (vielleicht) nicht viel schreiben kann<<

Mehr dazu schreiben kann vielleicht jemand, der schon seine Erfahrung mit dieser Eröffnung hinter sich hat, sei es mit Weiß oder mit Schwarz. Aber die Eröffnung scheint tatsächlich eine absolute Rarität zu sein.

Vielleicht mal ein Thematurnier dazu anbieten?😜

Ich hatte eigentlich noch eine weitere Partie dazu, wo Weiß den ganzen Zinnober vermeidet, indem er 1. e4 e5 2. Sf3 d5 3. Sxe5 spielt. Und diese Partie ist sicher viel mehr als eine Eröffnungsfalle, sie wird eigentlich erst im Endspiel so richtig spannend. Vielleicht bringe ich sie deswegen doch noch, aber nicht unter dem Aspekt dieser Eröffnung, sondern unter dem des Mattangriffs nach frühzeitigem Damentausch (in meinen Augen ein Thema, das für eine ganz lange Reihe reichen würde😀).
Gordholm - 17. Aug '24 Edited
Nur als Ergänzung:

Es gibt ein Eröffnungsbuch dazu:

"Das Mittelgambit im Nachzug

Von Jerzy Konikowski/ Milon Gupta

Schachverlag Manfred Mädler, Düsseldorf (1994)

Bei Niggemann & Co dürfte es aber auch noch zu bekommen sein ;)

Ich habe es mir damals, vor 25 Jahren oder so, gekauft aus Neugier und habe

eine Anzahl Partien damit gespielt, später aber dann das Interesse daran

verloren. Irgendwie gefiel es mir nicht besonders.
Vabanque - 17. Aug '24 Edited
Interessant, dass nach so langer Zeit zu dieser Partie bzw. Eröffnung noch ein Beitrag kommt, vielen Dank dafür, SF Gordholm!

Dass es über diese Eröffnung ein Buch gibt, wusste ich nicht, aber ich werde es mir nicht kaufen, ich habe sie mehr oder weniger hier als eine Art Kuriosum vorgestellt, bzw. (siehe den Vorspann) um zu zeigen, welche Chancen Schwarz bekommt, wenn Weiß ungenau spielt.

Die andere Partie mit dieser Eröffnung, in der Weiß 1. e4 e5 2. Sf3 d5 3. Sxe5 spielt, und die ich oben erwähnt habe, hatte ich tatsächlich noch kommentiert, aber irgendwie gingen mir meine Kommentare verloren, und dann hatte ich keine Lust mehr, die Partie nochmals zu kommentieren, denn das war mir dann der Aufwand nicht wert. Übrigens ist mir das gleiche Malheur schon einmal passiert. Ich denke aber nicht, dass der Schachwelt damit unverzichtbare Inhalte verloren gegangen sind😉