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Glanzpartien unbekannter Spieler (XII)

Vabanque - 23. Apr '14
So mancher Schachfreund hat wohl von Anatoly Ufimtsev als Mit-Namensgeber der Pirc-Ufimtsev-Verteidigung (die im Westen aber meist nur als Pirc-Verteidigung bezeichnet wird) schon mal gehört. Über seine Taten als Spieler dagegen dürften nur Wenige etwas wissen, weswegen er hier mit Fug und Recht als 'unbekannter Spieler' geführt werden darf, wie ich meine.
Ufimtsev war 11maliger Meister von Kasachstan, kam aber aus seinem Heimatland zeitlebens kaum heraus. Er errang nie einen internationalen Meistertitel, aber im Jahre 1944 spielte er die Partie seines Lebens gegen den damals schon sehr starken anerkannten Meister Boleslavsky, der ein paar Jahre später zur Weltspitze aufsteigen sollte. Die Partie, die in Ufimtsevs Heimatstadt Omsk gespielt wurde, ist ein Lehrbeispiel für den Angriff auf der g-Linie im Verein mit der langen Diagonalen.

Isaac Boleslavsky Anatoly Ufimtsev Omsk | Omsk | 1944 | 0:1
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. e4 e6 2. d4 d5 3. Sc3 xe4 4. Sxe4 Sf6 5. Sxf6+ xf6!? Analog zu der entsprechenden Variante in der Caro-Kann-Verteidigung ist das auch hier spielbar, wenn auch sehr scharf und nicht ohne Risiko. Für die Zerschlagung seines Königsflügels erhält Schwarz die halboffene g-Linie. Eine Strategie, die in vorliegender Partie wegen des ungenauen Spiels von Weiß allerdings eine glänzende Rechtfertigung erfährt. 6. Sf3 b6 7. Lb5+ Um den Schwarzen zu zwingen, die angestrebte Läuferdiagonale vorerst zu verstellen, denn Ld7 wäre natürlich inkonsequent, und auf Sd7 käme Lc6. c6 8. Lc4 Hier erfüllt der Läufer keine großen Aufgaben. La6 Schon muss sich der weiße Läufer entscheiden. 9. Lb3?! Das ist kein guter Platz für den Läufer, aber Weiß will c4, gefolgt von dem eventuellen Durchbruch d4-d5 spielen. Zu letzterem kommt es allerdings nie. Dc7 Jetzt kann Weiß seinen anderen Läufer nicht mehr auf f4 platzieren; außerdem wird die lange Rochade vorbereitet. 10. c4 Sd7 11. O-O In die halboffene g-Linie hineinzurochieren, erscheint gewagt, aber wo soll der weiße König sonst hin? Weiß hat ja die Chance, gegen eine entsprechende lange Rochade von Schwarz gleich mit der Aufrollung a2-a4-a5 zu reagieren. O-O-O 12. De2 Zuerst geht die Dame aber aus der Turmlinie, um eventuelles Sc5, basierend auf der Fesselung, zu verhindern. Ld6 Dieser Läufer wird nun für den Rest der Partie keinen Zug mehr machen, aber dennoch eine tragende Rolle spielen. 13. a4 Tdg8 14. a5 Es will wirklich so scheinen, als ob Weiß eher kommt. c5! 15. xb6 Schon öffnet sich die a-Linie, und Schwarz ist gezwungen, mit der Dame wiederzunehmen, um den La6 zu decken, wonach seine Figuren scheinbar ganz unkoordiniert stehen. Dxb6 16. Le3 Der Läufer schielt schräg zur schwarzen Dame hin. Lb7! Jetzt steht der Läufer richtig. 16... Dxb3 17. Txa6 war natürlich nicht spielbar. Jetzt aber hängt der Lb3. 17. xc5 Sxc5?! Sehr riskant. Schwarz begibt sich freiwillig in die Fesselung. Lxc5 war logisch und gut, aber Schwarz wollte den Ld6 vermutlich in seiner schönen Position belassen. Der Partieverlauf gibt ihm Recht. 18. Ld1 Weiß möchte seine Dame beweglich machen und entlastet sie mit diesem Zug deswegen von der Bindung an die Deckung von f3. Tg4 19. Dd2? Wie die schwarze Antwort zeigt, war hier Dc2 besser (auf Le4? kann dann Dc3 mit Vorteil geschehen). Se4! Weiß kann sich jetzt auf den Schlagwechsel 20. Lxb6 Sxd2 nicht einlassen, da er nach 21. Sxd2 (auch alles andere verliert) in 3 Zügen mattgesetzt wird durch Txg2+, Txh2+ und Th1#. Eine Wendung, die man sich merken sollte! 20. Da5 Nun aber hängt die schwarze Dame. Wird sie weichen, auf b2 nehmen oder sich tauschen? Thg8!! Nichts von alledem! Ein 'passives' Damenopfer (passiv deswegen, weil die Dame nicht irgendwo hineingedonnert, sondern einfach hängen gelassen wird). Was geschieht, wenn Weiß nun mit 21. Lxb6 zugreift? 21 ... Txg2+ 22. Kh1, und dann? Stünde der Se4 nicht da, so könnte Schwarz daraufhin mit Txh2 mattsetzen, da dann der Sf3 durch den Lb7 gefesselt wäre! Also beseitigt man den Se4 mit Tempo: 22... Sxf2+!!, und auf Lxf2 geht nun Txh2#, während auf Txf2 Tg1#, ebenfalls basierend auf der Fesselung des Sf3 (und der freundlichen Unterstützung des Tg8), möglich ist. Eine fantastische Doppelwendung!! 21. Se1 Ein Versuch, g2 zu decken (und gleichzeitig den Tg4 anzugreifen), der sich aber als unzureichend erweist. Allerdings gewinnt Schwarz auch nach 21. g3 Sxg3! 22. hxg3 Txg3+! 23. fxg3 Dxe3+ 24. Tf2 Lxg3. Txg2+! 22. Sxg2 Sd2! Im Prinzip bereits der Schlusszug. Die Kanonade gegen g2 mit Lb7 und Tg8, zusammen mit dem im Hintergrund noch lauernden Ld6, ist so stark, dass Schwarz die Dame weiter hängen lassen kann, vom Sd2 ganz zu schweigen. Es droht die uns jetzt schon bekannte Wendung Txg2+ nebst Txh2+ und Th1#, die nun nur noch unter heftigsten Materialeinbußen zu verhindern ist, denn 23. f3 verliert sofort nach Dxe3+! (der gefesselte Sg2!) 24. Kh1 (Tf2 De1+ führt zum Matt) Dh6 25. h4 (das einzige) Txg2! 26. Kxg2 Dxh4 mit undeckbaren Mattdrohungen. 23. Dd5 Ein verzweifelter Versuch, die tödliche Diagonale zu verstopfen, der zwar das unmittelbare Matt verhindert, aber viel zu viel Material kostet. Stattdessen wäre es eleganter gewesen, hier aufzugeben. So aber endet die Partie nicht mit einem Knalleffekt, sondern Weiß windet sich noch ein paar Züge lang in Todeszuckungen. Lxd5 24. xd5 Dxb2 Jetzt kann Weiß nicht einmal den Turm retten; auf etwa 25. Txa7 folgt De5, und wegen der Fesselung des Sg2 gibt es keine Verteidigung (26. Lf4 Dxf4; 26. f4 Dxe3+). 25. Lxd2 Dxa1 26. Lf3 Ein letztes Übersehen, das aber nichts mehr verdirbt. Lxh2+! Weiß gab sich endlich geschlagen. Ein sensationeller Schwarzsieg gegen einen Spitzenspieler.
PGN anzeigen[Event "Omsk"]
[Site "Omsk"]
[Date "1944.??.??"]
[EventDate "?"]
[Round "?"]
[Result "0-1"]
[White "Isaac Boleslavsky"]
[Black "Anatoly Ufimtsev"]

1. e4 e6 2. d4 d5 3. Nc3 dxe4 4. Nxe4 Nf6 5. Nxf6+ gxf6!? {Analog zu der entsprechenden Variante in der Caro-Kann-Verteidigung ist das auch hier spielbar, wenn auch sehr scharf und nicht ohne Risiko. Für die Zerschlagung seines Königsflügels erhält Schwarz die halboffene g-Linie. Eine Strategie, die in vorliegender Partie wegen des ungenauen Spiels von Weiß allerdings eine glänzende Rechtfertigung erfährt.} 6. Nf3 b6 7. Bb5+ {Um den Schwarzen zu zwingen, die angestrebte Läuferdiagonale vorerst zu verstellen, denn Ld7 wäre natürlich inkonsequent, und auf Sd7 käme Lc6.} c6 8.
Bc4 {Hier erfüllt der Läufer keine großen Aufgaben.} Ba6 {Schon muss sich der weiße Läufer entscheiden.} 9. Bb3?! {Das ist kein guter Platz für den Läufer, aber Weiß will c4, gefolgt von dem eventuellen Durchbruch d4-d5 spielen. Zu letzterem kommt es allerdings nie.} Qc7 {Jetzt kann Weiß seinen anderen Läufer nicht mehr auf f4 platzieren; außerdem wird die lange Rochade vorbereitet.}10. c4 Nd7 11. O-O {In die halboffene g-Linie hineinzurochieren, erscheint gewagt, aber wo soll der weiße König sonst hin? Weiß hat ja die Chance, gegen eine entsprechende lange Rochade von Schwarz gleich mit der Aufrollung a2-a4-a5 zu reagieren.} O-O-O 12. Qe2 {Zuerst geht die Dame aber aus der Turmlinie, um eventuelles Sc5, basierend auf der Fesselung, zu verhindern.} Bd6 {Dieser Läufer wird nun für den Rest der Partie keinen Zug mehr machen, aber dennoch eine tragende Rolle spielen.} 13. a4 Rdg8 14. a5 {Es will wirklich so scheinen, als ob Weiß eher kommt.} c5!
15. axb6 {Schon öffnet sich die a-Linie, und Schwarz ist gezwungen, mit der Dame wiederzunehmen, um den La6 zu decken, wonach seine Figuren scheinbar ganz unkoordiniert stehen.} Qxb6 16. Be3 {Der Läufer schielt schräg zur schwarzen Dame hin.} Bb7! {Jetzt steht der Läufer richtig. 16... Dxb3 17. Txa6 war natürlich nicht spielbar. Jetzt aber hängt der Lb3.} 17. dxc5 Nxc5?! {Sehr riskant. Schwarz begibt sich freiwillig in die Fesselung. Lxc5 war logisch und gut, aber Schwarz wollte den Ld6 vermutlich in seiner schönen Position belassen. Der Partieverlauf gibt ihm Recht.} 18. Bd1 {Weiß möchte seine Dame beweglich machen und entlastet sie mit diesem Zug deswegen von der Bindung an die Deckung von f3.} Rg4 19. Qd2? {Wie die schwarze Antwort zeigt, war hier Dc2 besser (auf Le4? kann dann Dc3 mit Vorteil geschehen).} Ne4! {Weiß kann sich jetzt auf den Schlagwechsel 20. Lxb6 Sxd2 nicht einlassen, da er nach 21. Sxd2 (auch alles andere verliert) in 3 Zügen mattgesetzt wird durch Txg2+, Txh2+ und Th1#. Eine Wendung, die man sich merken sollte!} 20. Qa5 {Nun aber hängt die schwarze Dame. Wird sie weichen, auf b2 nehmen oder sich tauschen?} Rhg8!! {Nichts von alledem! Ein 'passives' Damenopfer (passiv deswegen, weil die Dame nicht irgendwo hineingedonnert, sondern einfach hängen gelassen wird). Was geschieht, wenn Weiß nun mit 21. Lxb6 zugreift? 21 ... Txg2+ 22. Kh1, und dann? Stünde der Se4 nicht da, so könnte Schwarz daraufhin mit Txh2 mattsetzen, da dann der Sf3 durch den Lb7 gefesselt wäre! Also beseitigt man den Se4 mit Tempo: 22... Sxf2+!!, und auf Lxf2 geht nun Txh2#, während auf Txf2 Tg1#, ebenfalls basierend auf der Fesselung des Sf3 (und der freundlichen Unterstützung des Tg8), möglich ist. Eine fantastische Doppelwendung!!}
21. Ne1 {Ein Versuch, g2 zu decken (und gleichzeitig den Tg4 anzugreifen), der sich aber als unzureichend erweist. Allerdings gewinnt Schwarz auch nach 21. g3 Sxg3! 22. hxg3 Txg3+! 23. fxg3 Dxe3+ 24. Tf2 Lxg3.} 21... Rxg2+! 22. Nxg2 Nd2! {Im Prinzip bereits der Schlusszug. Die Kanonade gegen g2 mit Lb7 und Tg8, zusammen mit dem im Hintergrund noch lauernden Ld6, ist so stark, dass Schwarz die Dame weiter hängen lassen kann, vom Sd2 ganz zu schweigen. Es droht die uns jetzt schon bekannte Wendung Txg2+ nebst Txh2+ und Th1#, die nun nur noch unter heftigsten Materialeinbußen zu verhindern ist, denn 23. f3 verliert sofort nach Dxe3+! (der gefesselte Sg2!) 24. Kh1 (Tf2 De1+ führt zum Matt) Dh6 25. h4 (das einzige) Txg2! 26. Kxg2 Dxh4 mit undeckbaren Mattdrohungen.}
23. Qd5 {Ein verzweifelter Versuch, die tödliche Diagonale zu verstopfen, der zwar das unmittelbare Matt verhindert, aber viel zu viel Material kostet. Stattdessen wäre es eleganter gewesen, hier aufzugeben. So aber endet die Partie nicht mit einem Knalleffekt, sondern Weiß windet sich noch ein paar Züge lang in Todeszuckungen.} Bxd5 24. cxd5 Qxb2 {Jetzt kann Weiß nicht einmal den Turm retten; auf etwa 25. Txa7 folgt De5, und wegen der Fesselung des Sg2 gibt es keine Verteidigung (26. Lf4 Dxf4; 26. f4 Dxe3+).} 25. Bxd2 25... Qxa1 26. Bf3 {Ein letztes Übersehen, das aber nichts mehr verdirbt.} Bxh2+! {Weiß gab sich endlich geschlagen. Ein sensationeller Schwarzsieg gegen einen Spitzenspieler.} 0-1
pirc_ - 23. Apr '14
na der wahre spitzenspieler und namensgeber war natürlich vasja bei besagter Eröffnung ;-)
wieder einmal schön kommentiert....mir gefällt bei sowas am besten wie so leute einfach die Dame stehen lassen um matt zu setzen...ich seh da immer nur: oh meine Dame hängt :-)
Kellerdrache - 23. Apr '14
Manchmal muß man beim Schach eben nicht einfach seinen Reflexen folgen. Oft ist die beste Verteidigung der Gegenangriff, aber dazu muß man

a) gute Nerven haben

b) sauber durchrechnen.

Wenn man dabei nur eine Kleinigkeit übersieht ist es meistens direkt komplett vorbei. Deshalb erwägen die meisten Schachspieler solche Züge gar nicht erst, ziehen die Dame und werden dann langsam zusammen geschoben.