Games with comments

Thementurniere gab es schon vor 100 Jahren (Evans-Gambit)

Vabanque - 27. Dez '22
Vor Jahren habe ich hier einmal eine Partie gebracht, welche die Schottische Eröffnung thematisierte. Damals wurde ich prompt von einem Schachfreund angeschrieben, welcher meinte, dies wäre während eines gerade bei chessmail zu dieser Eröffnung laufenden Thematurniers doch eher fragwürdig. Das hatte mich dann doch sehr gewundert. Erstens war mir das laufende Thematurnier gar nicht bewusst gewesen, zweitens konnte ich immer noch nicht so ganz die Problematik nachvollziehen. Würde denn eine von mir kommentierte Partie tatsächlich einem Schachfreund, der gerade eine Partie mit derselben Eröffnung spielte, helfen können? Zumal er die gleichen Züge doch auch in Büchern und Datenbanken finden würde?

Wie auch immer, diesmal steht eine Eröffnung auf dem Plan, zu der das entsprechende Thematurnier bei chessmail bereits beendet ist: nämlich das Evansgambit. Hier liegt ein ganz spezieller Fall vor. Während diese Eröffnung im 19. Jh. ganz große Mode war, und sogar die bedeutendsten Meister sie spielten, wurde sie um die Jahrhundertwende - wie übrigens auch das Königsgambit - zum alten Eisen gelegt, und kein führender Meister wählte sie Anfang des 20. Jh. mehr freiwillig. (Dies hatte auch damit zu tun, dass Lasker diese Eröffnung vermeintlich widerlegt hatte, siehe meine Anmerkung zum 7. Zug von Schwarz der folgenden Partie. Zumindest hatte Lasker eine Verteidigung für Schwarz gefunden, die vielen die Lust an dem Gambit genommen hatte.)

Aus diesem Grund wurden Anfang des 20. Jh. Thematurniere (!) durchgeführt (ja, Leute, glaubt es mir, diese Turniere sind keine Erfindung von SF haribo02😉), um die alten Gambiteröffnungen quasi wiederzubeleben (zum Königsgambit gab es dazumal mehr Thematurniere, vielleicht bringe ich auch gelegentlich mal eine Partie dazu).

Folgende Partie wurde in einem solchen Thematurnier gespielt, das in New York 1926 ausgetragen wurde. Die ersten 5 Züge waren vorgegeben (1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lc5 Lc5 4. b4 Lxb4 5. 0-0).
Die Kontrahenten der vorliegenden Partie waren die alten Freunde Anthony Santasiere und Frank Marshall, wobei 'Freund' hier keineswegs ironisch zu verstehen ist. Im Gegenteil, Marshall schreibt in seinem Buch 'My Fifty Years of Chess' in der Einleitung zu dieser Partie: 'Eddie (??😮) Santasiere has been my good friend for many years, and in that time we have played quite a number of exciting games. Here is a struggle in which we both strive our utmost to win.'

(Santasiere hieß tatsächlich mit zweitem Vornamen Edward, aber normalerweise wurde er Tony genannt. Warum Marshall sich an ihn als 'Eddie' erinnert, ist unerfindlich.)

Nun, beide versuchten auf Teufel komm raus zu gewinnen, und was tatsächlich geschah, könnt ihr hier sehen. (Ein wenig habe allerdings ich den Eindruck, dass Marshall hier seinen Freund teils zu den guten Zügen quasi gezwungen hat ... )

Ich habe - wie schon ab und zu vorher in ähnlicher Weise - mit der Partie ein paar kleine Aufgaben verbunden. Es handelt sich um Alternativen zu den Partiefortsetzungen, bei denen ihr selber herausfinden sollt, warum diese Züge von den Spielern nicht gewählt wurden. Die Fragen sind hoffentlich nicht allzu schwer und sollen hauptsächlich dazu dienen, sich besser in die Partie einzufinden. Viel Spaß!

Die Fragen sind am Schluss noch einmal aufgelistet (es sind aber nur zwei), da ich sie in der Partie nicht hervorheben konnte. Ebenso wird noch ein Thread bei den Schachaufgaben damit gestartet.

Anthony Santasiere Frank James Marshall New York | 1926 | C51 | 1/2-1/2
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lc4 Lc5 4. b4 Lxb4 5. O-O Bis hierhin waren die Züge für dieses New Yorker Thematurnier vorgegeben. Eigentlich etwas merkwürdig, wo hier doch 5. c3 der Standardzug ist, und es auch damals schon war. Die Theorie dieser alten Eröffnungen hat sich ja tatsächlich in den letzten 100 Jahren nur wenig weiterentwickelt. Deswegen sind in diesen Eröffnungen auch die alten Partien noch 'aktuell'. d6
Hier kommt Sf6 auch sehr in Frage. Schwarz hat dann viel bessere Chancen, schnell zur Rochade zu gelangen. In der Partie wird es nie dazu kommen!
6. c3 La5 7. d4 Lg4!? Marshall bezeichnet diesen Zug in seinem Buch als 'aggressive but risky reply', und erwähnt mit keinem Wort, dass Lg4 bereits 1905 von Napier gespielt worden war (vielleicht weil ihm dies gar nicht bewusst war, siehe aber meine spätere Anmerkung zum 9. Zug von Schwarz).
Üblich wäre der (von Marshall allerdings sehr wohl erwähnte) Lasker-Zug Lb6 , dessen Idee darin besteht, dass Weiß nun zwar seinen Bauern zurückgewinnen könnte, dann wegen der zerrissenen Bauern am Damenflügel aber das etwas schlechtere Endspiel hätte: 8. xe5 xe5 9. Dxd8+ Sxd8 10. Sxe5 . Zudem wird einem Angriffsspieler der frühe Damentausch sicher nicht zusagen.
8. Db3 Santasiere befreit sich radikal von der Fesselung, bedroht f7 und nimmt die Aufreißung seines Königsflügels in Kauf.
8. Lb5 scheint eine brauchbare Alternative, auch wenn der Läufer nun das zweite Mal zieht. Aber mit der Fesselung des Sc6 würde Weiß seinen Punkt d4 befestigen.
Lxf3 9. xf3
Man wundert sich, dass Weiß hier nicht die Gelegenheit ergreift, mit Schach auf f7 einzuschlagen und damit dem Schwarzen zumindest die Rochade zu verderben. Marshall meint in seinem Buch, dies wäre nicht so gut gewesen, und gibt dazu die Variante 9. Lxf7+ Kf8 10. Lxg8 Txg8 11. xf3 Lb6 (oder alternativ Dd7) an, die Schwarz tatsächlich etwas im Vorteil lässt, allerdings ist m.E. nicht wirklich zu sehen, warum Weiß auf g8 tauschen muss. Der Lf7 ist doch gar nicht in Gefahr, da Schwarz die Möglichkeit Sa5 nicht hat, so lange dort noch der Läufer steht. Weiß kann also 10. gxf3 spielen und sich die weitere Verwendung des Lf7 noch überlegen. Vielleicht dachte Marshall ja, Weiß sollte den Sg8 nicht am Leben lassen, da er eine potenzielle Gefahr für den geschwächten weißen Königsflügel darstellen würde. Vielleicht erinnerte er sich aber auch vage an eine Partie Mieses vs. Napier von 1905, die so verlief, nur dass Schwarz dort das etwas schwächere 11... exd4 spielte (und trotzdem gewann). Da die Stellung sehr kompliziert ist, lasse ich das alles mal dahin gestellt und wage keine weitere Beurteilung. Santasiere wird jedenfalls irgendeinen wie auch immer gelagerten Grund gehabt haben, warum er das Schlagen auf f7 hier (und auch noch im nächsten Zug) unterließ.
Dagegen wäre 9. Dxb7?? jedenfalls ganz falsch gewesen wegen Lxe4 . Weiß kann dann nämlich nicht mit 10. d5 Sce7 11. Db5+ seine Figur zurückgewinnen wegen c6!
xd4 10. Dxb7?! Santasiere schlägt also lieber auf b7 als auf f7. Für mich sieht das aber nicht besser aus, eher im Gegenteil. Die weiße Dame begibt sich auf Abwege und Weiß kann froh sein, dass sie später wieder ins Spiel gelangt. Se5! 11. Kh1
Um Sxf3 zu verhindern (siehe den folgenden Zug von Schwarz). Der Lc4 ist indirekt gedeckt wegen Dc6+. 11. Lb5+ verdirbt dem Schwarzen zwar die Rochade, aber danach stehen die weißen Figuren noch verstreuter und arbeiten nicht zusammen, vor allem wird dann aber der weiße König zum Angriffsziel: Kf8 12. f4 (führt zu nichts Gutem, aber was soll Weiß sonst spielen?) Tb8 13. Da6 Sg4 und Schwarz droht bereits Dh4 14. h3 Dh4! (trotzdem!) 15. xg4 Dxg4+ 16. Kh2 Dh5+ und Schwarz gewinnt die Figur auf b5 zurück! Diese Variante ist natürlich nicht forciert, illustriet aber m.E. die schwarzen Möglichkeiten ganz gut.
Tb8
Frage 1: Warum kann Schwarz hier nicht Sxf3 spielen?
Sxc4 12. Dc6+ Kf8 13. Dxc4 Df6 kam zwar in Betracht, ist aber bestimmt nicht besser als die Partiefortsetzung, wo der Turm mit Tempo die b-Linie besetzt.
12. Da6 Sxc4 In seinem Buch schreibt Marshall, dass er hier deswegen so viel wie möglich getauscht hat, um die Angriffschancen von Weiß zu minimieren. Ein weiterer Aspekt mag dabei gewesen sein, dass er in einer unübersichtlichen Stellung nach einer klaren Fortsetzung gesucht (und sie gefunden) hat.
Lb6 hätte die Spannung in einer komplizierten Stellung aufrecht erhalten, und Weiß hätte etwas Vernünftiges erfinden müssen. So aber macht Weiß mehr oder weniger Zwangszüge, die alle noch ausreichend verteidigen.
13. Dxc4 xc3 14. Sxc3
Mit 14. Da4+ c6 gibt es hier für Weiß keine Figur zu erobern.
Lxc3 15. Dxc3 Df6 Sozusagen die Pointe der Abtauschserie. Der Damentausch würde Weiß ein Endspiel mit einem Minusbauern bescheren, aber ausweichen und zugleich f3 gedeckt halten kann die weiße Dame auch nicht, da dann der Ta1 hängt. Es scheint somit nur das Schlagen auf c7 in Frage kommen, worauf Schwarz - wenn er nicht noch Besseres hat - zumindest mit Dxf3+ nebst Dg4+ das Remis durch Dauerschach forcieren kann. So war es von Marshall bei seinem 12. Zug offenbar geplant gewesen. Aber Weiß fällt noch etwas ein. 16. e5!? Dadurch wird das Spiel noch einmal interessant, und sehr scharf.
16. Dxc7 Dxf3+ 17. Kg1 Dg4+ 18. Kh1 Df3+ ist das erwähnte Remis durch Dauerschach bzw. Zugwiederholung.
der 'Gewinn'versuch Dxe4+?? 19. f3 Db7 führt nach 20. Te1+ zum Verlust: Kf8 21. Dxd6+ Se7 22. Kg2! (deckt f3) mit der Drohung Txe7 bzw. La3.
xe5
Dxe5 17. Te1 verliert natürlich die Dame.
17. Te1 Se7 Jetzt aber schleunigst die Entwicklung des Königsflügels nachholen! 18. Txe5 Droht Lg5 und La3; die Rechnung von Weiß scheint aufzugehen. Tb5
Interessanterweise hätte hier Schwarz tatsächlich auch O-O!? spielen können, da er dann nach 19. Lg5 die Ausrede Dc6! gehabt hätte. Das Spiel wäre dann kompliziert geblieben. Marshalls Zug aber ist zwingender und klärt die Lage.
19. Txe7+! Das Einzige!
Eine Deckung des Turms mittels 19. f4 Txe5 20. xe5 De6 wäre zum Vorteil für Schwarz. 21. Dxc7 (es gibt bessere Züge, aber keiner kann die schwarze Rochade verhindern) O-O und Schwarz hat die Entwicklung vollendet, während nun der weiße König vulnerabel ist.
Kxe7
Frage 2: Was wäre nach Dxe7 geschehen?
20. Dxc7+ Ke8
Nach Ke6?? droht Schwarz zwar Dxf3+, aber Weiß kann entweder den Tb5 mit Schachgebot erobern oder den sK mattsetzen: 21. Dc6+ Ke5
Kf5 22. De4#
Ke7 22. La3+ Kd8 23. Td1+
22. Dxb5+
21. Dc8+ Dd8
Nach Ke7?? 22. La3+ verliert Schwarz die Dame (und dann noch den Th8).
Aber statt dessen bitte nicht noch mit 22. Dxh8?? Dxa1 alles wegschmeißen!!
22. Dc6+ Dd7
Nach Kf8?? 23. Dxb5 richtet Schwarz mit Dd1+ 24. Kg2 nichts mehr aus.
Und nach Ke7?? 23. La3+ wird es im übernächsten Zug Matt.
23. Da8+ und als Remis abgebrochen, denn:
23. Da8+ Dd8
nach Ke7 könnte Weiß gefahrlos den Th8 kassieren: 24. Dxh8
24. Dc6+ mit Zugwiederholung (siehe 22. Zug): Dd7 25. Da8+ Dd8 26. Dc6+ und zum 3. Mal wäre die gleiche Stellung erreicht. Eine zwar beiderseits keineswegs perfekte, aber ungemein spannende Remispartie!
PGN anzeigen[Event "Dimock theme"]

[Event "?"]
[Site "New York"]
[Date "1926.??.??"]
[Round "?"]
[White "Anthony Santasiere"]
[Black "Frank James Marshall"]
[Result "1/2-1/2"]
[WhiteElo "?"]
[BlackElo "?"]
[ECO "C51"]

1. e4 e5 2. Nf3 Nc6 3. Bc4 Bc5 4. b4 Bxb4 5. O-O {Bis hierhin waren die Züge
für dieses New Yorker Thematurnier vorgegeben. Eigentlich etwas merkwürdig, wo
hier doch 5. c3 der Standardzug ist, und es auch damals schon war. Die Theorie
dieser alten Eröffnungen hat sich ja tatsächlich in den letzten 100 Jahren nur
wenig weiterentwickelt. Deswegen sind in diesen Eröffnungen auch die alten
Partien noch 'aktuell'.} 5... d6 ( {Hier kommt} 5... Nf6 { auch sehr in Frage.
Schwarz hat dann viel bessere Chancen, schnell zur Rochade zu gelangen. In der
Partie wird es nie dazu kommen!} ) 6. c3 Ba5 7. d4 Bg4 $5 {Marshall bezeichnet
diesen Zug in seinem Buch als 'aggressive but risky reply', und erwähnt mit
keinem Wort, dass Lg4 bereits 1905 von Napier gespielt worden war (vielleicht
weil ihm dies gar nicht bewusst war, siehe aber meine spätere Anmerkung zum 9.
Zug von Schwarz).} ( {Üblich wäre der (von Marshall allerdings sehr wohl
erwähnte) Lasker-Zug} 7... Bb6 {, dessen Idee darin besteht, dass Weiß nun zwar
seinen Bauern zurückgewinnen könnte, dann wegen der zerrissenen Bauern am
Damenflügel aber das etwas schlechtere Endspiel hätte:} 8. dxe5 dxe5 9. Qxd8+
Nxd8 10. Nxe5 {. Zudem wird einem Angriffsspieler der frühe Damentausch sicher
nicht zusagen.} ) 8. Qb3 {Santasiere befreit sich radikal von der Fesselung,
bedroht f7 und nimmt die Aufreißung seines Königsflügels in Kauf.} (8. Bb5
{scheint eine brauchbare Alternative, auch wenn der Läufer nun das zweite Mal
zieht. Aber mit der Fesselung des Sc6 würde Weiß seinen Punkt d4 befestigen.} )
8... Bxf3 9. gxf3 ( {Man wundert sich, dass Weiß hier nicht die Gelegenheit
ergreift, mit Schach auf f7 einzuschlagen und damit dem Schwarzen zumindest die
Rochade zu verderben. Marshall meint in seinem Buch, dies wäre nicht so gut
gewesen, und gibt dazu die Variante} 9. Bxf7+ Kf8 10. Bxg8 Rxg8 11. gxf3 Bb6
{(oder alternativ Dd7) an, die Schwarz tatsächlich etwas im Vorteil lässt,
allerdings ist m.E. nicht wirklich zu sehen, warum Weiß auf g8 tauschen muss.
Der Lf7 ist doch gar nicht in Gefahr, da Schwarz die Möglichkeit Sa5 nicht hat,
so lange dort noch der Läufer steht. Weiß kann also 10. gxf3 spielen und sich
die weitere Verwendung des Lf7 noch überlegen. Vielleicht dachte Marshall ja,
Weiß sollte den Sg8 nicht am Leben lassen, da er eine potenzielle Gefahr für
den geschwächten weißen Königsflügel darstellen würde. Vielleicht erinnerte er
sich aber auch vage an eine Partie Mieses vs. Napier von 1905, die so verlief,
nur dass Schwarz dort das etwas schwächere 11... exd4 spielte (und trotzdem
gewann). Da die Stellung sehr kompliziert ist, lasse ich das alles mal dahin
gestellt und wage keine weitere Beurteilung. Santasiere wird jedenfalls
irgendeinen wie auch immer gelagerten Grund gehabt haben, warum er das Schlagen
auf f7 hier (und auch noch im nächsten Zug) unterließ.} ) ( {Dagegen wäre} 9.
Qxb7 $4 {jedenfalls ganz falsch gewesen wegen} 9... Bxe4 {. Weiß kann dann
nämlich nicht mit} 10. d5 Nce7 11. Qb5+ {seine Figur zurückgewinnen wegen}
11... c6 $1) 9... exd4 10. Qxb7 $6 {Santasiere schlägt also lieber auf b7 als
auf f7. Für mich sieht das aber nicht besser aus, eher im Gegenteil. Die weiße
Dame begibt sich auf Abwege und Weiß kann froh sein, dass sie später wieder ins
Spiel gelangt.} 10... Ne5 $1 11. Kh1 ( {Um Sxf3 zu verhindern (siehe den
folgenden Zug von Schwarz). Der Lc4 ist indirekt gedeckt wegen Dc6+.} 11. Bb5+
{verdirbt dem Schwarzen zwar die Rochade, aber danach stehen die weißen
Figuren noch verstreuter und arbeiten nicht zusammen, vor allem wird dann aber
der weiße König zum Angriffsziel:} 11... Kf8 12. f4 {(führt zu nichts Gutem,
aber was soll Weiß sonst spielen?)} 12... Rb8 13. Qa6 Ng4 {und Schwarz droht
bereits Dh4} 14. h3 Qh4 $1 {(trotzdem!)} 15. hxg4 Qxg4+ 16. Kh2 Qh5+ {und
Schwarz gewinnt die Figur auf b5 zurück! Diese Variante ist natürlich nicht
forciert, illustriet aber m.E. die schwarzen Möglichkeiten ganz gut.} ) 11...
Rb8 ( {Frage 1: Warum kann Schwarz hier nicht} 11... Nxf3 {spielen?} ) (11...
Nxc4 12. Qc6+ Kf8 13. Qxc4 Qf6 {kam zwar in Betracht, ist aber bestimmt nicht
besser als die Partiefortsetzung, wo der Turm mit Tempo die b-Linie besetzt.} )
12. Qa6 Nxc4 {In seinem Buch schreibt Marshall, dass er hier deswegen so viel
wie möglich getauscht hat, um die Angriffschancen von Weiß zu minimieren. Ein
weiterer Aspekt mag dabei gewesen sein, dass er in einer unübersichtlichen
Stellung nach einer klaren Fortsetzung gesucht (und sie gefunden) hat.} (12...
Bb6 {hätte die Spannung in einer komplizierten Stellung aufrecht erhalten, und
Weiß hätte etwas Vernünftiges erfinden müssen. So aber macht Weiß mehr oder
weniger Zwangszüge, die alle noch ausreichend verteidigen.} ) 13. Qxc4 dxc3 14.
Nxc3 ( {Mit} 14. Qa4+ c6 {gibt es hier für Weiß keine Figur zu erobern.} )
14... Bxc3 15. Qxc3 Qf6 {Sozusagen die Pointe der Abtauschserie. Der
Damentausch würde Weiß ein Endspiel mit einem Minusbauern bescheren, aber
ausweichen und zugleich f3 gedeckt halten kann die weiße Dame auch nicht, da
dann der Ta1 hängt. Es scheint somit nur das Schlagen auf c7 in Frage kommen,
worauf Schwarz - wenn er nicht noch Besseres hat - zumindest mit Dxf3+ nebst
Dg4+ das Remis durch Dauerschach forcieren kann. So war es von Marshall bei
seinem 12. Zug offenbar geplant gewesen. Aber Weiß fällt noch etwas ein.} 16.
e5 $5 { Dadurch wird das Spiel noch einmal interessant, und sehr scharf.} (16.
Qxc7 Qxf3+ 17. Kg1 Qg4+ 18. Kh1 Qf3+ {ist das erwähnte Remis durch Dauerschach
bzw. Zugwiederholung.} ( {der 'Gewinn'versuch} 18... Qxe4+ $4 19. f3 Qb7
{führt nach} 20. Re1+ {zum Verlust:} 20... Kf8 21. Qxd6+ Ne7 22. Kg2 $1 {(deckt
f3) mit der Drohung Txe7 bzw. La3.} ) ) 16... dxe5 (16... Qxe5 17. Re1
{verliert natürlich die Dame.} ) 17. Re1 Ne7 {Jetzt aber schleunigst die
Entwicklung des Königsflügels nachholen!} 18. Rxe5 {Droht Lg5 und La3; die
Rechnung von Weiß scheint aufzugehen.} 18... Rb5 ( {Interessanterweise hätte
hier Schwarz tatsächlich auch} 18... O-O $5 {spielen können, da er dann nach}
19. Bg5 {die Ausrede} 19... Qc6 $1 {gehabt hätte. Das Spiel wäre dann
kompliziert geblieben. Marshalls Zug aber ist zwingender und klärt die Lage.} )
19. Rxe7+ $1 {Das Einzige!} ( {Eine Deckung des Turms mittels} 19. f4 Rxe5 20.
fxe5 Qe6 {wäre zum Vorteil für Schwarz.} 21. Qxc7 {(es gibt bessere Züge, aber
keiner kann die schwarze Rochade verhindern)} 21... O-O {und Schwarz hat die
Entwicklung vollendet, während nun der weiße König vulnerabel ist.} ) 19...
Kxe7 ( {Frage 2: Was wäre nach} 19... Qxe7 {geschehen?} ) 20. Qxc7+ Ke8 (
{Nach} 20... Ke6 $4 {droht Schwarz zwar Dxf3+, aber Weiß kann entweder den Tb5 mit
Schachgebot erobern oder den sK mattsetzen:} 21. Qc6+ Ke5 (21... Kf5 22. Qe4#)
(21... Ke7 22. Ba3+ Kd8 23. Rd1+) 22. Qxb5+) 21. Qc8+ Qd8 ( {Nach} 21... Ke7 $4
22. Ba3+ {verliert Schwarz die Dame (und dann noch den Th8).} ( {Aber statt
dessen bitte nicht noch mit} 22. Qxh8 $4 Qxa1 {alles wegschmeißen!!} ) ) 22.
Qc6+ Qd7 ( {Nach} 22... Kf8 $4 23. Qxb5 {richtet Schwarz mit} 23... Qd1+ 24. Kg2
{nichts mehr aus.} ) ( {Und nach} 22... Ke7 $4 23. Ba3+ {wird es im übernächsten
Zug Matt.} ) 23. Qa8+ {und als Remis abgebrochen, denn:} (23. Qa8+ Qd8 (
{nach} 23... Ke7 {könnte Weiß gefahrlos den Th8 kassieren:} 24. Qxh8) 24. Qc6+
{mit Zugwiederholung (siehe 22. Zug):} 24... Qd7 25. Qa8+ Qd8 26. Qc6+ {und zum
3. Mal wäre die gleiche Stellung erreicht. Eine zwar beiderseits keineswegs
perfekte, aber ungemein spannende Remispartie!} ) 1/2-1/2


Ich fasse hier noch einmal die beiden Fragen (bzw. Aufgaben) zusammen:

Frage 1 entstand nach der Alternative zum 11. Zug von Schwarz. Hätte Marshall hier statt 11... Tb8 den Zug 1... Sxf3 gespielt, wäre folgende Stellung auf dem Brett entstanden:

Move piece

Chessboard as table

abcdefgh
8Rook BlackQueen BlackKing BlackKnight BlackRook Black
7Pawn BlackQueen WhitePawn BlackPawn BlackPawn BlackPawn Black
6Pawn Black
5Bishop Black
4Bishop WhitePawn BlackPawn White
3Pawn WhiteKnight Black
2Pawn WhitePawn WhitePawn White
1Rook WhiteKnight WhiteBishop WhiteRook WhiteKing White

Pieces lists

Pieces White

  • King h1
  • Queen b7
  • Rook a1
  • Rook f1
  • Bishop c1
  • Bishop c4
  • Knight b1
  • Pawn a2
  • Pawn f2
  • Pawn h2
  • Pawn c3
  • Pawn e4

Pieces Black

  • King e8
  • Queen d8
  • Rook a8
  • Rook h8
  • Bishop a5
  • Knight f3
  • Knight g8
  • Pawn d4
  • Pawn d6
  • Pawn a7
  • Pawn c7
  • Pawn f7
  • Pawn g7
  • Pawn h7
White to move


Frage 1: Wie hätte Weiß dann gewonnen?

Frage 2 bezieht sich auf die Alternative zum 19. Zug von Schwarz. Hätte hier Marshall nicht mit dem König, sondern mit der Dame auf e7 genommen, wäre folgende Stellung auf dem Brett gewesen:

Move piece

Chessboard as table

abcdefgh
8King BlackRook Black
7Pawn BlackPawn BlackQueen BlackPawn BlackPawn BlackPawn Black
6
5Rook Black
4
3Queen WhitePawn White
2Pawn WhitePawn WhitePawn White
1Rook WhiteBishop WhiteKing White

Pieces lists

Pieces White

  • King h1
  • Queen c3
  • Rook a1
  • Bishop c1
  • Pawn a2
  • Pawn f2
  • Pawn h2
  • Pawn f3

Pieces Black

  • King e8
  • Queen e7
  • Rook b5
  • Rook h8
  • Pawn a7
  • Pawn c7
  • Pawn f7
  • Pawn g7
  • Pawn h7
White to move


Frage 2: Wie hätte Weiß in diesem Fall gewonnen?

Die beiden Fragen poste ich auch noch einmal in der Sektion 'Schachaufgaben', mit Verlinkung dieser kommentierten Partie.

Tipp zu beiden Fragen: Sucht nicht nach 'brillanten' Zügen (die sind schon in der Partie selbst enthalten), sondern nach 'einfachen', aber nachhaltigen Zügen (Nachhaltigkeit ist ja in unseren Tagen in allen Lebensbereichen gefragt). Ein paar Züge weit müsst ihr jeweils vielleicht schon rechnen, insofern ist 'nicht rechnen, nur sehen' vielleicht hier nicht ganz das richtige Motto😉
Vabanque - 27. Dez '22
Der Nachspann zur Partie mit den Aufgaben befindet sich jetzt noch einmal in diesem Thread:

/forum/topic.html?key=293cacb700424683&sv=2

Bitte etwaige Lösungen also nicht hier posten, auch nicht in dortigem Thread, sondern, wie dort geschrieben:

Bitte Lösungen zu den Aufgaben/Fragen nur per PN an mich!

Danke😀
Oli1970 - 30. Dez '22
In der Tat eine sehr spannende Remis-Partie und auch in gewohnter Qualität sehr ausführlich kommentiert. Inhaltlich gibt es nichts mehr beizusteuern.
Klasse die Variantenvielfalt, die hier nicht überfrachtet sondern erläutert und nochmals die Spannung in den Stellungen verdeutlicht. Sehr schön 19.Txe7, was nicht nur die Partie rettet sondern im Zusammenspiel der Stellung verhindert, dass Marshall noch einen Vorteil aus seiner Mehrqualität ziehen kann. Das Remis hat sich Santasiere verdient.
Schach-„Schwindler“ Frank Marshall hatte viele tolle Partien gespielt, und ob perfekt oder nicht, ist diese jedenfalls sehr unterhaltsam.

Edward Winter (wer sonst?) hat einiges zu Marshall zusammengetragen, neben chesshistory.com/winter/extra/marshall2.html geben auch die dort anfangs verlinkten Artikel einen Einblick in seine Persönlichkeit und sein Umfeld. Leider ist Winter nicht wirklich als Geschichtenerzähler bekannt, so ist‘s wie bei ihm üblich etwas trocken.
Vabanque - 30. Dez '22
Danke dir (auch für den Link!), aber man sieht schon einmal mehr, dass die Rubrik 'Kommentierte Spiele' offenbar scheintot ist und sich anscheinend auch durch Aufgaben zur Partie kaum noch wiederbeleben lässt.

Falls aber jemand einen Vorschlag hat, wie man die Kommentierten Spiele interessanter und attraktiver gestalten kann, dann nur her damit!

Aber vielleicht lag es einfach nur daran, dass die Wahl einer Remispartie (wenn auch einer, in der so einiges 'los' ist!) generell unglücklich war.

Ich habe noch eine weitere Partie mit dem Evans-Gambit, die auch schon kommentiert ist, die werde ich dann in ein paar Tagen trotzdem noch zeigen. Mal sehen, ob ich mir da auch Aufgaben dazu ausdenken kann.
Oli1970 - 30. Dez '22
Ich könnte noch gut zwanzig Partien von meiner Festplatte zaubern. Die meisten sind schon zwei Jahre alt und warten seither auf Interessenten. Macht so halt keinen Spaß, und Lust, mich da neu reinzudenken, habe ich prinzipiell auch nicht mehr. Dass eine Gewinnpartie anders behandelt wird als diese, kann man kaum feststellen.
Ist wie es ist. Mir haben die Kommentierungen jedenfalls geholfen, Schach besser zu spielen und zu verstehen. Insofern hatte und habe ich wenigstens was davon. Mittlerweile habe ich reichlich Bücher und YouTube besorgt den Rest.🤷‍♂️
Vabanque - 30. Dez '22
Ein paar stille Mitleser wird es schon geben ... es wäre natürlich besser, wenn sie sich auch outen würden, dann wüsste man, für wen man eigentlich schreibt😉

Im Zweifelsfall natürlich für mich selber, denn dadurch, dass ich abweichende Varianten analysieren musste, habe ich die Partie auch besser verstanden.
japetus1962 - 30. Dez '22
Ich bin zwar ein schlechter Lösungsfinder, aber ein begeisterter Mitleser von den Aufgaben. Gruß Robert