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Große Partien ... (XXVI): Bogoljubov - Réti 1923

Vabanque - 03. Jun '14
Vielleicht eine der tragischsten Figuren der gesamten Schachgeschichte ist der tschechoslovakisch-ungarische Großmeister Richard Réti gewesen, der 1929 im Alter von nur 40 Jahren an Scharlach starb. Heute ist Réti dem Schachfreund hauptsächlich als Schöpfer eines Eröffnungssystems sowie einer Reihe von Endspielstudien bekannt. Aber Réti war auch ein Spieler von allerhöchstem Rang. Ihm gelang es beispielsweise 1924, Capablanca die erste Niederlage nach 8 Jahren beizubringen. Spielt man Rétis Partien durch, so lässt sich ein einheitlicher Stil zwar schwer ausmachen; brillant geführte Opferangriffe hier neben reinen Positionspartien und (nicht verwunderlich) studienartig geführten Endspielen.

Rétis beste Partien weisen jedoch eine Gemeinsamkeit auf: die scheinbar mühelose Leichtigkeit und Eleganz der Spielführung, die immer ein Zeichen der allerhöchsten Kunst ist. Dieser künstlerischen Eigenart seines Schachs waren wohl auch seine ziemlich wechselnden Turniererfolge geschuldet; trotz allerhöchster Begabung hätte Réti also niemals Weltmeister werden können: er setzte Schönheit der Spielführung immer über den sportlichen Erfolg.

Bei dem vorliegenden Spiel handelt es sich um eine reine Positionspartie; es gibt keine Kombinationen, kein Opfer, keine taktischen Verwicklungen, und doch hinterlässt Rétis Spielführung einen starken Eindruck. Man muss auch bedenken, dass dieser so mühelos anmutende Sieg gegen einen Spieler errungen wurde, der sich damals auf dem Weg zur absoluten Weltspitze befand, und gegen den Réti leider auch zeitlebens eine deutliche Minusbilanz hatte. Bogoljubov war also der (nach Turnier-Erfolgen gemessen) 'stärkere' Spieler, Réti aber der feinsinnigere. Bogoljubovs Spiel hinterlässt - selbst in seinen besten Partien - meist den Eindruck von roher, brutaler Gewalt, Rétis Spiel dagegen beeindruckt durch Ausgewogenheit und innere Harmonie.

Efim Bogoljubov Richard Reti Maehrisch-Ostrau | Maehrisch-Ostrau, Czechoslovakia | 3 | 1923.07.03 | C11 | 0:1
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. e4 e6 2. d4 d5 3. Sc3 Sf6 4. e5 Sfd7 5. Dg4?! Der so genannte Gledhill-Angriff, der allerdings - wie die vorliegende Partie auch zeigt - als verfrüht anzusehen ist. c5! 6. Sb5 Weiß plant Sd6+ Lxd6 Dxg7. xd4! Schwarz zerschlägt einfach das weiße Zentrum, wonach sich der weiße 'Angriff' als Strohfeuer erweist. Spielt Weiß nämlich jetzt 7. Sd6+? Lxd6 8. Dxg7??, so folgt Lxe5, und Weiß hat eine Figur verloren. 7. Sf3 Daher wird e5 zunächst noch einmal gedeckt. Sc6! Schwarz hingegen beschießt konsequent weiter das weiße Zentrum. 8. Sd6+ Lxd6 9. Dxg7 Lxe5 In Verbindung mit dem nächsten Zug erzwingt Schwarz damit den Damentausch und verbleibt letztlich mit einem mächtigen Bauernzentrum. 10. Sxe5 Df6 11. Dxf6 Sxf6 12. Lb5 Immerhin gewinnt Weiß mit dem folgenden Manöver seinen Bauern zurück. Ld7 13. Sf3 Nun kann Schwarz seinen d-Bauern nicht mehr stützen. Das ist aber auch unnötig, er hat zwei Bauern mehr im Zentrum, und wird diesen Vorteil in der Folge eindrucksvoll demonstrieren. Se4 Bereitet den folgenden Zug vor. 14. O-O f6 Droht e6-e5, so dass sich Weiß mit dem Rückgewinn des Bauern d4 beeilen muss. Dadurch stärkt er aber noch mehr das schwarze Zentrum. 15. Lxc6 xc6 Denn ein weiterer schwarzer Bauer ist näher zur Mitte gewandert. 16. Sxd4 c5 Die Bauernmasse mobilisiert sich bereits. 17. Se2 Kf7 Schwarz verbindet seine Türme und stellt seinen König auf einen Platz, der hier als vollständig sicher bezeichnet werden kann, zumal Weiß ja auch keinen weißfeldrigen Läufer mehr hat. 18. f3 Sd6 19. b3 e5 20. La3 Immerhin gelingt es Weiß damit, einen gewissen Druck auf das schwarze Zentrum auszuüben. Tac8 21. Tad1 Dadurch dass er den Vorstoß des angegriffenen d-Bauern provoziert, meint Weiß das schwarze Zentrum zu schwächen (da die Bauern doch bekanntlich am stärksten sind, wenn sie nebeneinander stehen). d4 Nun stehen die Bauern alle auf schwarzen Feldern, was hier genau richtig ist, weil sie damit den Läufer von Schwarz, der auf weißen Feldern agiert, nicht behindern, während sie den Läufer von Weiß in seinen Aktionen behindern. Anders wäre es natürlich, wenn Weiß seinen Druck gegen c5 verstärken könnte, was er mit dem nächsten Zug auch vorzubereiten versucht. 22. Sc1 Wenn jetzt Weiß auch noch zu Sd3 kommt, sieht seine Stellung doch gar nicht mehr so schlecht aus?! Sf5 Wegen der Drohung Se3 kommt er aber nicht dazu. Außerdem macht der Wegzug des Springers von d6 den Vorstoß c5-c4 möglich, wonach es mit dem weißen Gegenspiel gegen c5 endgültig aus wäre. 23. Tf2 Se3 Nun hat der Vorstoß des d-Bauern also sogar Schwarz genützt, indem er dem Se3 einen Stützpunkt verschaffte. 24. Te1 c4! Die schwarze Stellung wird immer stärker. Es droht schon cxb3 nebst Sc2 und Gabelung von Te1 und La3. 25. b4 Weiß muss die Öffnung der c-Linie unter allen Umständen vermeiden. Nach 25. bxc4 Txc4 26. Te2 Thc8 würde die weiße Stellung schnell zusammenbrechen (zunächst würde der c-Bauer fallen). Nach dem Textzug kommt es zwar auch nicht besser, aber die Fortsetzung ist hübscher! La4 Auch ohne die Öffnung der c-Linie ist der Bauer c2 das Angriffsobjekt. Weiß kann nicht c2-c3 antworten wegen Sc2, wieder mit Gabelung von Te1 und La3. 26. Tee2 Sd1! Dieser Rappe arbeitet unermüdlich. Er hat bereits die Route g8-f6-d7-f6-e4-d6-f5-e3 hinter sich und hoppst immer noch so munter durch die Landschaft. 27. Tf1 Sc3 28. Tef2 Anders geht es nicht, denn auf Td2 gewinnt Sb1 sofort Material, und Te1 ließe ja den Bauern c2 im Stich. Sb1! Bald wird er seine Mission erfüllt haben. Aber zuvor besucht er noch das Geburtshaus seines weißen Kollegen, der schon im 8. Zug sein Leben gelassen hat. 29. Lb2 c3 Was für eine Bauernkette! La1 geht jetzt gar nicht wegen Sd2 nebst Lxc2. Daher muss Weiß 'Klimmzüge' machen. 30. Sb3 Für den Moment noch eine Ausrede, da der Sb1 jetzt vom Tf1 angegriffen ist und gleichzeitig dem La4 der Blick nach c2 versperrt ist. Lxb3 31. xb3 Erzwungen, denn sowohl nach 31. cxb3 c2 nebst d3 sowie nach 31. Txb1 Lxa2 (32. Ta1 cxb2!) ist es schnell aus. Sd2 Der Springer ist immer noch nicht müde. 32. Te1 Thd8 Schwarz kommt nur weiter mit dem Durchbruch d4-d3, mit dem er seinen c-Bauern frei macht. 33. Lc1 d3! Jetzt kann Weiß nicht 34. Lxd2 cxd2 35. Txd2 spielen; nach dxc2 36. Txd8 Txd8 hätte er keine Verteidigung gegen Td1 und Verwandlung des c-Bauern. 34. xd3 Txd3 35. Lxd2 Txd2 Weiß kann jetzt natürlich nicht auf d2 tauschen, da sich nach cxd2 nebst Tc1 der Bauer wiederum verwandeln würde. 36. Ta1 Daher versucht er noch einen allerdings sinnlosen Gegenangriff. Zäher war Tc1 oder Kf1. Ke6! Natürlich kann Weiß jetzt nicht auf a7 schlagen. 37. Kf1 Jetzt aber muss Schwarz aufpassen, denn mit dem näher gerückten König droht Weiß auf d2 zu tauschen und Td1 folgen zu lassen, denn dann würde Tc1 wegen Ke2 nichts mehr bringen. Daher: Txf2+ 38. Kxf2 c2 39. Tc1 Aber wird der schwarze Bauer auf c2 denn jetzt nicht schwach? Kd5 Wenn's Personal knapp wird, muss der Chef persönlich ran! Der schwarze König droht über d4 nach c3 einzudringen. 40. Ke3 Tc3+! 41. Kd2 Kd4 So ist das also: Weiß kann den 'schwachen' Bauern c2 gar nicht erobern, da dann nach dem Turmtausch der schwarze König über e3 nach f2 eindringen und dort reiche Bauernernte halten würde. 42. h4 Weiß versucht noch den Status quo aufrecht zu erhalten. Td3+! Aber Schwarz lässt ihn nicht. Auf 43. Kxc2 Tc3+ tauscht Schwarz wiederum die Türme und gewinnt nach Ke3 das Bauernendspiel. Versucht Weiß dagegen 43. Ke2, so folgt Kc3, und Schwarz zwingt nach Td8 und Kb2 den Weißen zur Hergabe seines Turms gegen den Freibauern. Weiß gab auf. So einfach ist Schach - man muss es nur spielen können!
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[Event "Maehrisch-Ostrau"]

[Site "Maehrisch-Ostrau, Czechoslovakia"]

[Date "1923.07.03"]

[EventDate "1923.07.01"]

[Round "3"]

[Result "0-1"]

[White "Efim Bogoljubov"]

[Black "Richard Reti"]

[ECO "C11"]

1. e4 e6 2. d4 d5 3. Nc3 Nf6 4. e5 Nfd7 5. Qg4?! {Der so genannte Gledhill-Angriff, der allerdings - wie die vorliegende

Partie auch zeigt - als verfrüht anzusehen ist.} c5! 6. Nb5 {Weiß plant Sd6+ Lxd6 Dxg7.} cxd4! {Schwarz zerschlägt einfach

das weiße Zentrum, wonach sich der weiße 'Angriff' als Strohfeuer erweist. Spielt Weiß nämlich jetzt 7. Sd6+? Lxd6 8.

Dxg7??, so folgt Lxe5, und Weiß hat eine Figur verloren.} 7. Nf3 {Daher wird e5 zunächst noch einmal gedeckt.} Nc6!

{Schwarz hingegen beschießt konsequent weiter das weiße Zentrum.} 8.
Nd6+ Bxd6 9. Qxg7 Bxe5 {In Verbindung mit dem nächsten Zug erzwingt Schwarz damit den Damentausch und verbleibt letztlich

mit einem mächtigen Bauernzentrum.}10. Nxe5 Qf6 11. Qxf6 Nxf6 12. Bb5 {Immerhin gewinnt Weiß mit dem folgenden Manöver

seinen Bauern zurück.} Bd7 13. Nf3 {Nun kann Schwarz seinen d-Bauern nicht mehr stützen. Das ist aber auch unnötig, er hat

zwei Bauern mehr im Zentrum, und wird diesen Vorteil in der Folge eindrucksvoll demonstrieren.} Ne4 {Bereitet den

folgenden Zug vor.} 14.
O-O f6 {Droht e6-e5, so dass sich Weiß mit dem Rückgewinn des Bauern d4 beeilen muss. Dadurch stärkt er aber noch mehr das

schwarze Zentrum.} 15. Bxc6 bxc6 {Denn ein weiterer schwarzer Bauer ist näher zur Mitte gewandert.} 16. Nxd4 c5 {Die

Bauernmasse mobilisiert sich bereits.} 17. Ne2 Kf7 {Schwarz verbindet seine Türme und stellt seinen König auf einen Platz,

der hier als vollständig sicher bezeichnet werden kann, zumal Weiß ja auch keinen weißfeldrigen Läufer mehr hat.} 18. f3

Nd6 19. b3 e5 20. Ba3 {Immerhin gelingt es Weiß damit, einen gewissen Druck auf das schwarze Zentrum auszuüben.} Rac8
21. Rad1 {Dadurch dass er den Vorstoß des angegriffenen d-Bauern provoziert, meint Weiß das schwarze Zentrum zu schwächen

(da die Bauern doch bekanntlich am stärksten sind, wenn sie nebeneinander stehen).} d4 {Nun stehen die Bauern alle auf

schwarzen Feldern, was hier genau richtig ist, weil sie damit den Läufer von Schwarz, der auf weißen Feldern agiert, nicht

behindern, während sie den Läufer von Weiß in seinen Aktionen behindern. Anders wäre es natürlich, wenn Weiß seinen Druck

gegen c5 verstärken könnte, was er mit dem nächsten Zug auch vorzubereiten versucht.} 22. Nc1 {Wenn jetzt Weiß auch noch

zu Sd3 kommt, sieht seine Stellung doch gar nicht mehr so schlecht aus?!} Nf5 {Wegen der Drohung Se3 kommt er aber nicht

dazu. Außerdem macht der Wegzug des Springers von d6 den Vorstoß c5-c4 möglich, wonach es mit dem weißen Gegenspiel gegen

c5 endgültig aus wäre.} 23. Rf2 Ne3 {Nun hat der Vorstoß des d-Bauern also sogar Schwarz genützt, indem er dem Se3 einen

Stützpunkt verschaffte.} 24. Re1 c4! {Die schwarze Stellung wird immer stärker. Es droht schon cxb3 nebst Sc2 und Gabelung

von Te1 und La3.} 25. b4 {Weiß muss die Öffnung der c-Linie unter allen Umständen vermeiden. Nach 25. bxc4 Txc4 26. Te2

Thc8 würde die weiße Stellung schnell zusammenbrechen (zunächst würde der c-Bauer fallen). Nach dem Textzug kommt es zwar

auch nicht besser, aber die Fortsetzung ist hübscher!} Ba4 {Auch ohne die Öffnung der c-Linie ist der Bauer c2 das

Angriffsobjekt. Weiß kann nicht c2-c3 antworten wegen Sc2, wieder mit Gabelung von Te1 und La3.} 26. Ree2 Nd1! {Dieser

Rappe arbeitet unermüdlich. Er hat bereits die Route g8-f6-d7-f6-e4-d6-f5-e3 hinter sich und hoppst immer noch so munter

durch die Landschaft.} 27. Rf1
Nc3 28. Ref2 {Anders geht es nicht, denn auf Td2 gewinnt Sb1 sofort Material, und Te1 ließe ja den Bauern c2 im Stich.}

Nb1! {Bald wird er seine Mission erfüllt haben. Aber zuvor besucht er noch das Geburtshaus seines weißen Kollegen, der

schon im 8. Zug sein Leben gelassen hat.} 29. Bb2 c3 {Was für eine Bauernkette! La1 geht jetzt gar nicht wegen Sd2 nebst

Lxc2. Daher muss Weiß 'Klimmzüge' machen.} 30. Nb3 {Für den Moment noch eine Ausrede, da der Sb1 jetzt vom Tf1 angegriffen

ist und gleichzeitig dem La4 der Blick nach c2 versperrt ist.} Bxb3 31. axb3 {Erzwungen, denn sowohl nach 31. cxb3 c2

nebst d3 sowie nach 31. Txb1 Lxa2 (32. Ta1 cxb2!) ist es schnell aus.} Nd2 {Der Springer ist immer noch nicht müde.}32.

Re1 Rhd8 {Schwarz kommt nur weiter mit dem Durchbruch d4-d3, mit dem er seinen c-Bauern frei macht.} 33. Bc1 d3! {Jetzt

kann Weiß nicht 34. Lxd2 cxd2 35. Txd2 spielen; nach dxc2 36. Txd8 Txd8 hätte er keine Verteidigung gegen Td1 und

Verwandlung des c-Bauern.}
34. cxd3 Rxd3 35. Bxd2 Rxd2 {Weiß kann jetzt natürlich nicht auf d2 tauschen, da sich nach cxd2 nebst Tc1 der Bauer

wiederum verwandeln würde.} 36. Ra1 {Daher versucht er noch einen allerdings sinnlosen Gegenangriff. Zäher war Tc1 oder

Kf1.} Ke6! {Natürlich kann Weiß jetzt nicht auf a7 schlagen.} 37. Kf1 {Jetzt
aber muss Schwarz aufpassen, denn mit dem näher gerückten
König droht Weiß auf d2 zu tauschen und Td1 folgen zu
lassen, denn dann würde Tc1 wegen Ke2 nichts mehr bringen.
Daher:} Rxf2+ 38. Kxf2 c2 39. Rc1 {Aber wird der schwarze Bauer auf
c2 denn jetzt nicht schwach?} Kd5 {Wenn's Personal knapp wird, muss
der Chef persönlich ran! Der schwarze König droht über d4
nach c3 einzudringen.}
40. Ke3 Rc3+! 41. Kd2 Kd4 {So ist das also: Weiß kann
den 'schwachen' Bauern c2 gar nicht erobern, da dann
nach dem Turmtausch
der schwarze König über e3 nach f2 eindringen und dort
reiche Bauernernte halten würde.} 42. h4{Weiß versucht
noch den Status quo aufrecht zu erhalten.} Rd3+! {Aber
Schwarz lässt ihn nicht. Auf 43. Kxc2 Tc3+ tauscht
Schwarz wiederum die Türme und gewinnt nach Ke3 das Bauernendspiel. Versucht Weiß dagegen
43. Ke2, so folgt Kc3, und Schwarz zwingt nach Td8 und
Kb2 den Weißen zur Hergabe seines Turms gegen den Freibauern. Weiß gab auf. So einfach ist Schach - man muss es nur spielen können!} 0-1
patzer0815 - 03. Jun '14
Wirklich eine sehr schöne Partie, die ich bisher auch noch nicht kannte.
Vabanque - 03. Jun '14
Die Partie findet sich in einigen ziemlich alten Schachlehrbüchern; so um die Mitte des 20. Jh. war sie damit wohl den meisten Schachfreunden, die sich ernsthaft mit Meisterpartien beschäftigten, gut vertraut. Heute dagegen kennt man von diesen alten Partien wohl nur noch eine sehr geringe Auswahl. Der früheste Spieler, dessen Partien noch einigermaßen gut im Bewusstsein des heutigen interessierten Schachfreunds ist, scheint Michail Tal zu sein; alles, was davor kam, ist ins Marginale abgerutscht. Selbst von Giganten wie Aljechin, Capablanca, Botwinnik und Lasker werden die meisten Schachfreunde heute Schwierigkeiten haben, auch nur eine herausragende Partie zu nennen! Wieviel mehr muss das für die großen Spieler, die nie Weltmeister wurden, gelten, wie Bronstein, Rubinstein, Reshevsky, Tartakower, Pillsbury und eben Réti! Sie alle wieder ins rechte Licht zu rücken, ist auch ein wenig das Ziel meiner Beiträge. Der Schwerpunkt liegt natürlich auf Partien, in denen es 'knallt', weil diese beim ersten Durchspielen einfach attraktiver sind; aber gelegentlich werde ich auch einmal einen 'stillen' Sieg oder ein feines Endspiel zeigen, eben alles, was ausgezeichnetes Schach ist. Vorliegende Partie ist natürlich im eigentlichen Sinne kein Endspiel-Sieg, denn in dem Moment, wo die Partie ins (Turm-)Endspiel ging, war im Prinzip schon alles vorbei :)
Eigenart - 03. Jun '14
Es gab riesige Partien zwischen Reti und Aljechin.
Wien 1922: die unsterbliche Remispartie
oder
Baden- Baden 1925, die A. gewonnen hat und selbst als eine der glanzvollsten seiner Laufbahn bezeichnete.
Vabanque - 03. Jun '14
Ah, ein Kenner! Vielleicht habe ich mich darin doch getäuscht, dass sich heute niemand mehr an diese großen Partien erinnert!

Von diesen beiden Partien wollte ich hier in der Kommentierung aber eher Abstand nehmen, da sie einfach viel zu kompliziert sind ... aber gut, mal sehen :)
Kellerdrache - 03. Jun '14
Das wäre aber schade. Beide Partie sind es wirklich wert. Mir persönlich gefällt sogar die Remispartie noch besser, da dort Beide auf allerhöchstem Niveau gespielt haben
Eigenart - 06. Jun '14
Unfassbar auch die unsterbliche Blindpartie Aljechin- Schwartz London 1926 mit ca. 10 zügiger Umwandlungskombination blind!!
Vabanque - 07. Jun '14
Die würde dann wiederum in eine neue Reihe 'Große Blindpartien' passen :)
Nur schade, dass Herr Schwartz hier (mit Schwarz) die Eröffnung so schlecht gespielt hat, dass sein Springer schon schnell am Damenflügel total eingekerkert war. Das schmälert zwar nicht unbedingt die Leistung des Blindspielers bzw. die Schönheit der Schlusskombination, wohl aber den Wert der Partie ...
Eigenart - 07. Jun '14
Ja, aber ich würd sie sehend nicht hinkriegen.....
Vabanque - 07. Jun '14
Darin gebe ich dir natürlich vollends Recht!
Vabanque - 07. Jun '14
Also, ich meinte damit natürlich: Ich würde so etwas auch sehend sicher nicht hinkriegen!
SohnSchlumpf - 07. Jun '14
das war aber jetzt tief unter wert gestappelt

vor allen dingen, wenn man so viel turniererfahrung besitzt, was deine gewonnenen turnierspiele belegen
Eigenart - 08. Jun '14
Bin ja nun Fan von Aljechin. Eine weitere große Partie gegen den hier schon genannten Bogoljubow. Hastings 1922. In einem Schachbuch als monumentale Zweiflügelschlacht bezeichnet. Nur der Gewinn dieser Partie sicherte den Sieg in dem Turnier( weiter Rubinstein, Thomas, Dr. Tarrasch, Yates).
Vabanque - 08. Jun '14
Nur Geduld, in dieser Reihe werde ich auf jeden Fall noch mindestens eine Partie von Aljechin bringen!

Momentan stehen für mich (unter anderem) zur Auswahl:

1) Tarrasch - Aljechin, Pystian 1922

2) Bogoljubow - Aljechin, Hastings 1922

3) Grünfeld - Aljechin, Karlsbad 1923

4) Réti - Aljechin, Baden-Baden 1925


Die Partie 1) gegen Tarrasch werde ich wahrscheinlich nicht zeigen, weil dort Tarrasch weit unter seiner Stärke agiert und eine äußerst klägliche Figur macht. Er verdirbt die Eröffnung und wird wie ein Amateur an die Wand geklatscht.

Die Partie 2) gegen Bogoljubow (von Tartakower als die 'Sonnenschach'-Partie bezeichnet) wurde von Chernev als das größte Meisterwerk, das jemals auf einem Schachbrett geschaffen wurde, tituliert. Das halte ich dann doch für etwas übertrieben, vor allem wenn man sich anschaut, wie Bogo hier die Eröffnung behandelt hat. Obwohl er Weiß hatte, bekam er nie den Schimmer eines Gegenspiels. Aljechin hätte dann auch schon rein positionell gewinnen können, aber seinem Stil gemäß wählte er den künstlerischsten Gewinnweg. Auch wenn die Partie insgesamt durchaus einen sehr ästhetischen Eindruck macht, habe ich das Gefühl, dass sie für Aljechin sehr leicht gewesen ist. Für seine größte Leistung halte ich sie daher nicht.

Die Partie 3) gegen Grünfeld schätze ich persönlich sehr hoch ein, vor allem weil es Aljechin hier schafft, einen Großmeister wie Grünfeld in einem Damengambit mit den schwarzen Steinen bei symmetrischer Bauernstruktur völlig zu überspielen, ohne irgendetwas Auffälliges zu machen. Das ist dann ein Zeichen völliger Überlegenheit; Grünfeld wird hier völlig deklassiert, ohne einen einzigen offensichtlich schwachen Zug gemacht zu haben. Die glänzende Schlusskombination ist dann 'nur' die Krönung des vorangegangenen starken Positionsspiels. Dies ist eigentlich eine Modellpartie, wie man sie sich wünscht.

Die Partie 4) gegen Réti gehört zweifellos auch zu den ganz großen Partien. Anders als Grünfeld wird Réti hier nicht überspielt, sondern erreicht sogar eine gewisse positionelle Überlegenheit. Aber nach nur einem einzigen schwachen Zug (der auch gar nicht als solcher erkennbar ist, sondern sich nur durch die Folge als schwach erweist) bricht ein solches kombinatives Unwetter über ihn herein, dass man nur staunen kann, ohne jemals verstehen zu können, wie es dazu gekommen ist bzw. wie man überhaupt solche Kombinationen sehen kann. Diese Partie werde ich wahrscheinlich nicht kommentieren, weil sie meinen schachlichen Horizont weit übersteigt. Ich teile hier auch die Meinung eines amerikanischen Kommentators nicht, welcher behauptete, dass der Amateur, der nach dem Studium dieser Partie gar nichts daraus gelernt hätte, Schach besser aufgeben solle. Denn wenn dieser Kommentator Recht hätte, müsste ich ja auch Schach aufgeben. Ich gehe mittlerweile sogar so weit, zu behaupten: Aus allen wirklich genialen Partien kann der Durchschnittsspieler überhaupt nichts lernen! Man lernt nur etwas aus Partien, in denen typische Fehler oder Ungenauigkeiten auf ebenso typische, schulmäßige Weise ausgenutzt werden. Denn diese wiederkehrenden Muster kann man sich durch genaues Studium zu eigen machen und in das eigene Spiel einbauen bzw. in ähnlich gelagerten Fällen selber anwenden. Wirklich geniales Spiel, das keinerlei Mustern folgt, kann man sich nicht aneignen. Insofern sind die besten Partien von Leuten wie Aljechin, Keres, Tal und Kasparov nur etwas zum Bestaunen, aber nicht geeignet, irgendetwas zur Verbesserung des eigenen Spiels daraus zu profitieren.
Eigenart - 08. Jun '14
Ich plädiere für Nr. 4

Las, dass Aljechin nach dem 20. Zug Remis reklamiert hatte durch dreimalige Zugwiederholung und Retis Protest durchkam. Danach legte der Meister los.