Games with comments
Weniger übliche Eröffnungen: 1. e4 e5 2. d4 exd4 3. Dxd4
Vabanque - 19. Jan '24
Die manchmal als 'Mittelgambit' (obwohl es sich dabei überhaupt nicht um ein Gambit handelt, es wird ja nichts geopfert) bezeichnete Eröffnung 1. e5 e5 2. d4 exd4 3. Dxd4 genießt wegen des frühen Spiels mit der Dame keinen besonders guten Ruf. (Man könnte aber einwenden, dass Weiß quasi Skandinavisch 1. e4 d5 2. exd5 Dxd5 mit vertauschten Farben, also mit einem Mehrtempo spielt.)
Wie gefährlich diese Eröffnung allerdings bei richtiger Behandlung für Schwarz dennoch sein kann (und das auch noch gegen einen erstklassigen Gegner!), zeigt die folgende Kurzpartie, die 1896 von dem Polen Szymon Winawer (1838-1919) gegen den damals kürzlich erst von Lasker 'entthronten' Weltmeister Wilhelm Steinitz in brillanter Weise gewonnen wurde.































PGN anzeigen
Wie gefährlich diese Eröffnung allerdings bei richtiger Behandlung für Schwarz dennoch sein kann (und das auch noch gegen einen erstklassigen Gegner!), zeigt die folgende Kurzpartie, die 1896 von dem Polen Szymon Winawer (1838-1919) gegen den damals kürzlich erst von Lasker 'entthronten' Weltmeister Wilhelm Steinitz in brillanter Weise gewonnen wurde.
Simon Winawer Wilhelm Steinitz Nuremberg | Nuremberg GER | 12 | 1896.08.01 | C22 | 1:0
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. e4 e5 2. d4 xd4 3. Dxd4 Sc6 4. De3 Sf6 5. Sc3 Lb4 6. Ld2 O-O 7. O-O-O Te8 8. Lc4!? Weiß opfert seinen e-Bauern, weil dazu Schwarz den schwarzfeldrigen Läufer abtauschen muss, während sein weißer Antipode in eine beherrschende Stellung auf c3 gelangt. Damit wird die Eröffnung nachträglich doch noch zu einem Gambit. Lxc3?! Riskant, wenn auch spielbar. Schwarz wird allerdings bald vor schwierige Verteidigungsaufgaben gestellt werden. 9. Lxc3 Dieser Läufer wird später zum Monster. Sxe4 10. Df4 Bedroht f7. Sf6 11. Sf3 d6 12. Sg5 Le6 13. Ld3 Als Angreifer möglichst nicht tauschen! Die beiden weißen Läufer zielen jetzt in idealer Weise gegen den schwarzen König. h6 14. h4 Den Sg5 kann Weiß bedenkenlos opfern, da die Annahme ihm die h-Linie öffnen würde. Sd5 Das sieht sehr gut aus, denn nach einem weißen Damenzug könnte Schwarz den drohenden Lc3 endlich tauschen. Jedoch ... 15. Lh7+ Kh8 16. Txd5! Die am stärksten stehende schwarze Figur wird durch Opfer beseitigt. Lxd5 17. Le4! Nun soll auch noch der Ld5, der f7 verteidigt, aus seiner Position abgelenkt werden. f6? Von der mühsamen Verteidigung anscheinend bereits erschöpft, findet Steinitz keine Rettung mehr. 18. Lxd5 xg5 19. xg5 Se5 Jetzt, nachdem der Th1 eingreifen kann, nützt diese Sperrung der Diagonalen des Lc3 nichts mehr. 20. g6! Aus die Maus! Es droht Txh6 nebst Dxh6#, und auf Sxg6 folgt sofort Matt auf h6, da der Bg7 dann gefesselt ist. Steinitz musste sich geschlagen geben.
Tschechov - 19. Jan '24
Das Mittelgambit (ich habe mich auch schon oft gefragt, warum es als Gambit bezeichnet wird) spiele ich immer mal wieder. Für gewöhnlich rochiert Weiß lang, während Schwarz die Standard-Rochade wählt - wie ja auch in dieser Partie -, woraus eine scharfe Partie resultiert. Muss man mögen, ich mag's nicht immer, aber manchmal schon.
Vabanque - 19. Jan '24
Edited
Ja, bei entgegengesetzten Rochaden geht's oft blutig zu😁Hier bekommt Schwarz allerdings nie eine Chance zum Gegenangriff auf die lange weiße Rochade. Es ist ein 'Spiel auf ein Tor', trotzdem hätte Schwarz sich retten können. Am besten verzichtet man als Schwarzspieler aber bereits auf den Gewinn des Bauern e4.
Vabanque - 19. Jan '24
Dankenswerterweise hat mir ein chessmail-Freund per PN eine eigene Verlustpartie zur Verfügung gestellt, in der er genau obige Variante mit Weiß gespielt hat. Schwarz nahm den angebotenen Bauern e4 nicht an, sondern spielte 8... d6!, und es ist merkwürdig, aber danach scheint Weiß echte Schwierigkeiten zu haben, was mit der Stellung anzufangen ist. Nach nur einer Ungenauigkeit stand Weiß bereits auf Verlust:































PGN anzeigen
X Y 2022 | 0:1
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. e4 e5 2. Sc3 Sf6 3. d4 xd4 4. Dxd4 Sc6 5. De3 Lb4 6. Ld2 O-O 7. O-O-O Te8 8. Lc4 d6! Viel besser als die Eroberung des Bauern e4. Schwarz erobert diesen Bauern später tatsächlich - aber dann in Gewinnstellung! 9. Sf3 Die Frage ist, ob es hier etwas Stärkeres gibt. Wenn nicht, dann ist die Stellung ziemlich perspektivenlos für Weiß. a5 Der Sinn dieses Zuges ist mir nicht klar. Ein Angriff gegen die weiße Rochadestellung kann damit doch kaum eingeleitet werden. Schwarz will freilich immer noch nicht auf e4 schlagen, aber er konnte gut mit Le6 (um den Lc4 zu neutralisieren) oder auch Lg4 fortfahren. Vielleicht ist der Textzug aber auch eine listige Art, Weiß klarzumachen, dass er eigentlich gar keinen guten Plan zur Verfügung hat. 10. Sg5? Wegen der schwarzen Entgegnung nur ein Tempoverlust und bereits der entscheidende Fehler. Wegen der nun ungünstigen Damenstellung auf e3 war Df4 zu erwägen. Se5 11. Le2 h6 12. Sh3 Sg6 Das Schlagen auf h3 würde Weiß zwar einen Doppelbauern machen, ihm aber auch die g-Linie öffnen und ihm damit unnötige Chancen geben. 13. Sf4 Lxc3! Jetzt klar vorteilhaft. 14. Lxc3 Txe4 15. Lxf6 De8! 16. Dg3 Txf4 Da f6 und e2 hängen, verbleibt Weiß mit einer Minusfigur und gab daher auf.
Vabanque - 19. Jan '24
Edited
In einer anderen Partie probierte der gleiche Schachfreund statt 8. Lc4 das ebenfalls nicht ungiftige 8. Dg3, verlor aber nach 8... Txe4 auch schnell. Ob er nach diesen traumatisierenden Erlebnissen jemals wieder diese Eröffnung spielen wird?😐
Oli1970 - 20. Jan '24
Ich habe etwas in MCO geblättert: 8…d6 wurde von Karpov bevorzugt, gilt als solide. Eine stärkere Fortsetzung ist laut MCO 9.f3 Se5, müsste man ggf. noch durch eine Engine prüfen lassen.
Auch 8…Txe4 ist eine ordentliche Linie, der Verlust dürfte nicht in diesem Zug begründet liegen.
Noch zum Namen „Mittelgambit“ - im Englischen heißt die Eröffnung ja Center Game. Bei uns entsprechend - früher - Mittelspiel (statt Zentrumsspiel o. ä.). Mittelspiel war laut Wikipedia aber irgendwie doof, weil es ja auch zwischen Eröffnung und Endspiel ein Mittelspiel gibt, so das sich Mittelgambit durchgesetzt hat. Eine Erklärung, die eigentlich keine ist, denn ein verwechselbarer Name wurde durch eine weniger zutreffende Bezeichnung ersetzt.
Danke für die Vorstellung und Kommentierung! Schön, dass die Rubrik wiederbelebt wird!
Auch 8…Txe4 ist eine ordentliche Linie, der Verlust dürfte nicht in diesem Zug begründet liegen.
Noch zum Namen „Mittelgambit“ - im Englischen heißt die Eröffnung ja Center Game. Bei uns entsprechend - früher - Mittelspiel (statt Zentrumsspiel o. ä.). Mittelspiel war laut Wikipedia aber irgendwie doof, weil es ja auch zwischen Eröffnung und Endspiel ein Mittelspiel gibt, so das sich Mittelgambit durchgesetzt hat. Eine Erklärung, die eigentlich keine ist, denn ein verwechselbarer Name wurde durch eine weniger zutreffende Bezeichnung ersetzt.
Danke für die Vorstellung und Kommentierung! Schön, dass die Rubrik wiederbelebt wird!
Vabanque - 20. Jan '24
>>Ich habe etwas in MCO geblättert: 8…d6 wurde von Karpov bevorzugt, gilt als solide. Eine stärkere Fortsetzung ist laut MCO 9.f3 Se5, müsste man ggf. noch durch eine Engine prüfen lassen.<<
Meinst du jetzt die Variante mit 8. Lc4 oder die mit 8. Dg3?
Meinst du jetzt die Variante mit 8. Lc4 oder die mit 8. Dg3?
Vabanque - 20. Jan '24
>>Bei uns entsprechend - früher - Mittelspiel (statt Zentrumsspiel o. ä.). Mittelspiel war laut Wikipedia aber irgendwie doof, weil es ja auch zwischen Eröffnung und Endspiel ein Mittelspiel gibt, so das sich Mittelgambit durchgesetzt hat. Eine Erklärung, die eigentlich keine ist, denn ein verwechselbarer Name wurde durch eine weniger zutreffende Bezeichnung ersetzt.<<
Ja genau. 'Zentrumsspiel' wäre in meinen Augen auch am zutreffendsten.
Ja genau. 'Zentrumsspiel' wäre in meinen Augen auch am zutreffendsten.
Vabanque - 20. Jan '24
Mit 8. Lc4 d6 9. f3 Se5 gab es übrigens eine Partie Spielmann - Eliskases 1937, die Schwarz gewann, obwohl es nach 10. Lb3 Le6 eigentlich ausgeglichen stand. Der schwarze Angriff gegen die weiße lange Rochade kam hier aber viel schneller als der weiße gegen die schwarze kurze Rochade.
Oli1970 - 20. Jan '24
>> Meinst du jetzt die Variante mit 8. Lc4 oder die mit 8. Dg3? <<
Laut MCO ist …d6 in beiden Varianten völlig okay. Bezogen habe ich mich allerdings mit meinem ersten Absatz tatsächlich auf den Kommentar zu x - y, mit dem zweiten Absatz dann auf das nicht kommentierte Spiel …Txe4.
Laut MCO ist …d6 in beiden Varianten völlig okay. Bezogen habe ich mich allerdings mit meinem ersten Absatz tatsächlich auf den Kommentar zu x - y, mit dem zweiten Absatz dann auf das nicht kommentierte Spiel …Txe4.
Vabanque - 20. Jan '24
Ja danke. Das andere (mit Dg3) poste ich dann doch noch.
Vabanque - 20. Jan '24
Hier die Partie, die derselbe Spieler mit Weiß gegen eine andere Person verlor, obwohl er diesmal 8. Lc4 durch 8. Dg3 ersetzte. Schwarz hat dann die Möglichkeit, den Bauern e4 zu nehmen, und zwar gleich auf 2 Arten (mit dem S und mit dem T, wie in der Partie), und in beiden Fällen fällt es Weiß schwer, genügend Kompensation für den Bauern zu erhalten. Nach einigen Ungenauigkeiten verlor Weiß auch hier schnell:































PGN anzeigen
Am Ende gibt Weiß auf, weil auf Lxc3 Dg5+ (mit Blick auf den Lb5) folgt.
X Z 2022 | 0:1
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

Am Ende gibt Weiß auf, weil auf Lxc3 Dg5+ (mit Blick auf den Lb5) folgt.
Oli1970 - 20. Jan '24
13.Df2 erlaubte den unglücklichen Abtausch, es lag nicht an 8…Txe4.
In der Endposition hat Schwarz Mehrbauern und wohl auch die bessere Stellung, aber nach 15.Lxc3 Dg5 ist Lb5 noch nicht abgeschrieben. Immerhin hängt Td4 nun auch etwas in der Luft, die Frage ist, ob Schwarz abgetauscht hätte. Das hätte man sich noch zeigen lassen können, finde ich. Wobei die Beurteilung, ob ein Weiterspielen sinnvoll ist, letztlich natürlich von den Spielstärken der beiden Spieler abhängig zu machen ist. So oder so ist es klasse und ein feiner Zug, diese beiden Partien hier zu zeigen. Danke auch an den/die unbekannten Spieler!
In der Endposition hat Schwarz Mehrbauern und wohl auch die bessere Stellung, aber nach 15.Lxc3 Dg5 ist Lb5 noch nicht abgeschrieben. Immerhin hängt Td4 nun auch etwas in der Luft, die Frage ist, ob Schwarz abgetauscht hätte. Das hätte man sich noch zeigen lassen können, finde ich. Wobei die Beurteilung, ob ein Weiterspielen sinnvoll ist, letztlich natürlich von den Spielstärken der beiden Spieler abhängig zu machen ist. So oder so ist es klasse und ein feiner Zug, diese beiden Partien hier zu zeigen. Danke auch an den/die unbekannten Spieler!
Vabanque - 20. Jan '24
Ja, statt Df2 musste Weiß auf d5 tauschen, es ist allerdings dann schwierig, eine Kompensation für den geopferten Bauern nachzuweisen.
Am Ende verbleibt Schwarz mit 2 Mehrbauern, und der weiße König hat ein Loch in seiner Haustür. Daher hatte Weiß keine Lust mehr.
Am Ende verbleibt Schwarz mit 2 Mehrbauern, und der weiße König hat ein Loch in seiner Haustür. Daher hatte Weiß keine Lust mehr.