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Große Partien ... (XIV): Larsen - Spassky 1970
Vabanque - 28. Feb '14
Diese Partie genießt einen Sonderstatus - sowohl bei
mir wie auch generell in der Schachwelt. Sie war eine
der ersten Großmeisterpartien, die ich als
schachbegeisterter Jugendlicher seinerzeit (vor über 30
Jahren) nachgespielt habe. Sie wurde in dem legendären
Wettkampf 'UdSSR gegen den Rest der Welt' am ersten
Brett vor über 2000 Zuschauern gespielt. Und letztlich
dürfte sie eine der ganz wenigen Schwarzsiege in unter
20 Zügen gegen einen damaligen Weltspitzenspieler sein.
Freilich hat Weiß die Eröffnung recht fragwürdig
gespielt, aber dennoch versetzen mich auch heute noch
Spasskys Glanzzüge im 12. und 14. Zug in Erstaunen.































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mir wie auch generell in der Schachwelt. Sie war eine
der ersten Großmeisterpartien, die ich als
schachbegeisterter Jugendlicher seinerzeit (vor über 30
Jahren) nachgespielt habe. Sie wurde in dem legendären
Wettkampf 'UdSSR gegen den Rest der Welt' am ersten
Brett vor über 2000 Zuschauern gespielt. Und letztlich
dürfte sie eine der ganz wenigen Schwarzsiege in unter
20 Zügen gegen einen damaligen Weltspitzenspieler sein.
Freilich hat Weiß die Eröffnung recht fragwürdig
gespielt, aber dennoch versetzen mich auch heute noch
Spasskys Glanzzüge im 12. und 14. Zug in Erstaunen.
Bent Larsen Boris Spassky USSR vs. Rest of the World | Belgrade SRB | 2.1 | 1970.03.31 | 0:1
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. b3 Larsen war - wie vor ihm Tartakower und teilweise auch Nimzowitsch - ein begeisterter Anhänger bizarrer Eröffnungen. Gegen schwächere Gegner gelang es diesen genialen Spielern häufig, solche Eröffnungszüge zum Erfolg zu führen. Und obwohl 1. b3 natürlich an und für sich einwandfrei spielbar ist (und zudem den Vorteil hat, den Gegner auf vermutlich unvertrautes Gelände zu führen), ist es dennoch fraglich, ob man so etwas gegen einen Spassky versuchen sollte. e5 2. Lb2 Sc6 3. c4 Eine Art englische Eröffnung ist entstanden. Es ist aber zweifelhaft, ob dort die Züge b3 und Lb2 ins System passen. Sf6 Spassky macht nur einfache und kraftvolle Entwicklungszüge. Aber dieses geradlinige Spiel war sowieso sein Markenzeichen. Die scheinbare Einfachheit ist bei ihm ähnlich täuschend wie bei Capablanca: man kann sie bewundern, aber nicht nachmachen. 4. Sf3?! Sehr provokativ. Ähnlich der Idee der Aljechin- Verteidigung (1. e4 Sf6 2. e5 Sd5) möchte Weiß hier den schwarzen e-Bauern absichtlich nach vorne locken, um ihn anschließend zum Angriffsobjekt zu stempeln. Dieser subtile Plan funktioniert in der vorliegenden Partie aber nicht. e4 Spassky hat mit Schwarz im 4. Zug bereits die Initiative übernommen. 5. Sd4 Lc5 Am schönsten spielen sich Entwicklungszüge, die auch noch mit einer Drohung verbunden sind: der Sd4 muss sich nun entscheiden. 6. Sxc6 Verpasst dem Schwarzen zwar einen Doppelbauern, doch wie will Weiß diese 'Schwäche' ausnutzen? In Wirklichkeit fördert der Zug nur weiter die schwarze Entwicklung. Aber welche Alternativen standen Weiß zu Gebote? 6. Sc2 sieht nicht sehr attraktiv (um ehrlich zu sein eher kläglich) aus, und auf 6. e3 könnte Schwarz Lxd4 7. exd4 d5 mit sehr bequemen Spiel fortsetzen (man beachte die traurige Rolle des weißen Lb2). Am interessantesten scheint noch 6. Sf5!? xc6 Eine generelle Regel, die man Anfängern beibringt, lautet ja, dass man mit den Bauern immer zum Zentrum hin schlagen soll, da sie dort an Wert gewinnen. Aber auf die Bauernstruktur kommt es hier nicht an. Schwarz möchte seinen Entwicklungsvorsprung ausbauen. Das Schlagen mit dem d-Bauern macht dem Lc8 den Weg frei und öffnet außerdem die d-Linie. 7. e3 Lf5 Auch wenn es so aussieht, als ob dieser Läufer nur auf seinen eigenen Bauern e4 beißt: Lg4 wäre wegen der Antwort Le2 deutlich weniger stark. Schwarz möchte die beengte Stellung des Gegners nicht durch Abtausch erleichtern. Außerdem verhindert der Textzug ein eventuelles d2-d3. 8. Dc2 De7 Bereitet die lange Rochade vor, die den Turm direkt auf die d-Linie befördern wird. 9. Le2 Weiß konnte hier auch nicht gut die Gelegenheit zu d2-d3 ergreifen, denn nach Abtausch der Bauern und Läufer auf d3 käme Td8, und die schwarze Initiative hätte sich eher vergrößert. O-O-O Vollentwicklung aller Streitkräfte von Schwarz nach nur 9 (!!) Zügen! Weiß muss irgendetwas falsch gemacht haben. 10. f4? Weiß versucht mehr Einfluss auf das Zentrum zu nehmen, aber dieser Zug vergrößert nur den schwarzen Vorteil. Sg4 Sieht frech aus, ist aber vollständig korrekt. Wegen der Antwort Dh4+ kann der Springer natürlich nicht mit h2-h3 vertrieben werden, und Lxg7 wäre in so einer Stellung erst recht überoptimistisch. Natürlich würde auch 11. Lxg4 Dh4+ nebst Dxg4 die weiße Lage verschlimmern. 11. g3 Daher wird mit diesem Zug, der die schwarze Dame von h4 abhält, h2-h3 vorbereitet. h5! Mit diesem vorausschauenden Zug leitet Spassky bereits die geniale und spektakuläre Schlussphase ein. 12. h3 Weiß führt seinen Plan weiter. Aber hier half ohnehin bereits nichts mehr. h4!! Ein wunderbares Figurenopfer, das Spassky aber sicher schon bei h7-h5 geplant hat, wofür sicher auch der Umstand spricht, dass er über 11 ... h5 18 Minuten nachdachte, über 12... h4 aber nur 6 Minuten! 13. xg4 Larsen verbrauchte nun fast eine Stunde Bedenkzeit, fand aber keine Rettung. Lxg4 würde auf ganz ähnliche Weise verlieren wie die Partiefortsetzung. xg3 So schnell hat Schwarz die h-Linie für seinen Turm geöffnet und einen Freibauern auf g3 geboren, den nur zwei Schritte vom Umwandlungsfeld trennen! Auf 14. Txh8 Txh8 15. Kf1 (es drohte ja Th1+ 16. Lf1 g2) Th1+ 16. Kg2 Dh4 würde Weiß matt. 14. Tg1 Th1!! Nach einem Springer opfert Schwarz auch noch einen ganzen Turm! Die Absicht ist natürlich, den weißen Turm nach h1 zu zwingen, um den Freibauern mit Tempo vorrücken zu können. Spassky verwendete hier 17 Minuten, um sich zu überzeugen, dass der Zug wirklich in allen Varianten gewinnt. Er tut es. 15. Txh1 Nach 15. Kf1 Txg1+ 16. Kxg1 Dh4 wird es matt. g2 16. Tf1 Auf das 'natürliche' Tg1 folgt nämlich Dh4+ 17. Kd1 Dh1, und der weiße Turm geht verloren, während sich der schwarze Freibauer dennoch umwandelt. Dh4+ 17. Kd1 gf1=Q+ und schon gab Larsen auf, weil nach 18. Lxf1 Lxg4+ immer Matt folgt: entweder 19. Le2 Dh1# oder 19. Kc1 De1+ nebst Dxd1#. Eine komplette Demontage des weißen Eröffnungssystems.
CALIDA - 28. Feb '14
Danke Vabanque
....eine großartige Partie zweier Meister.
LG
CALIDA
....eine großartige Partie zweier Meister.
LG
CALIDA
Vabanque - 28. Feb '14
Eine der berühmtesten aller Zeiten, wahrscheinlich nur noch übertroffen von der 'Unsterblichen' Anderssen - Kieseritzky 1851 ... und D. Byrne - Fischer 1956 ('Game of the Century') ... und Spassky - Bronstein 1959 ('The James Bond Game') ... wobei ich die beiden letzteren noch kommentieren werde, an denen kommt genauso wie an der vorliegenden niemand vorbei (auch an der 'Unsterblichen' nicht, aber die finde ich zu antiquiert ... wenn Réti das schon vor fast 100 Jahren geschrieben hat, dann muss es heute doch erst recht zutreffen?).
Hasenrat - 01. Mär '14
Heute erst recht zu antiquiert?
Nicht unbedingt!
Was gestern als zu antiquiert galt, kann heute erst recht wieder "in" sein. Retro und Revival, Neo und Nostalgie.
Gibt es in der Schachsportgeschichte nicht auch solche gegenlaeufigen Bewegungen? Dass man wieder was auspackt, pflegt und darauf rekurriert, selbst wenn es mal entschieden als "suboptimal" und als Holzweg u. Sackgasse, als ein "toter Ast der Evolution" abgetan wurde? (Meine jetzt nicht nur einzelne Eröffnungen oder so, sondern die großen Entwicklungslinien, Stile und Schulen.)
Wenn nicht, dann wäre das Schach ja tatsächlich allzu wissenschaftlich - wissenschaftlicher, geradliniger, progressiver und unfehlbarer als jede Wissenschaft.
Nicht unbedingt!
Was gestern als zu antiquiert galt, kann heute erst recht wieder "in" sein. Retro und Revival, Neo und Nostalgie.
Gibt es in der Schachsportgeschichte nicht auch solche gegenlaeufigen Bewegungen? Dass man wieder was auspackt, pflegt und darauf rekurriert, selbst wenn es mal entschieden als "suboptimal" und als Holzweg u. Sackgasse, als ein "toter Ast der Evolution" abgetan wurde? (Meine jetzt nicht nur einzelne Eröffnungen oder so, sondern die großen Entwicklungslinien, Stile und Schulen.)
Wenn nicht, dann wäre das Schach ja tatsächlich allzu wissenschaftlich - wissenschaftlicher, geradliniger, progressiver und unfehlbarer als jede Wissenschaft.
Hasenrat - 01. Mär '14
Im konkreten Fall würde ich aber auch Abstand nehmen wollen von der 1678. Kommentierung der 'Unsterblichen Partie' - nicht weil "zu antiquiert", sondern weil zu - ausgelutscht!?
Es sei denn, ein Kommentar wäre wirklich originell und unorthodox?! Ein ganz neues Licht auf die Chose werfend?
Es sei denn, ein Kommentar wäre wirklich originell und unorthodox?! Ein ganz neues Licht auf die Chose werfend?
Vabanque - 01. Mär '14
Sicherlich gibt es im Schach auch Moden, vor allem natürlich, wie du selber ja schon erwähnst, in Bezug auf Eröffnungssysteme, die plötzlich wieder hervorgekramt werden.
Nur muss die Mode im Schach sich auch anhand von sportlichen Erfolgen bewähren; ein System mag noch so cool sein, niemand wird es beibehalten, wenn er keine Partien damit gewinnt.
Es stimmt aber auch, dass der vorherrschende Spielstil im Schach auch alle paar Jahrzehnte wieder mal wechselt. Gegen Ende des 19. Jh. wurde das wilde Kombinationsspiel (Anderssen, Zukertort) durch das systematische Spiel auf positionelle Vorteile (Steinitz) abgelöst. Anfang des 20. Jh. wurde das Positionsspiel dann perfektioniert und als das einzig richtige gepriesen. Capablanca ist wohl der Höhepunkt dieser Entwicklung, während Lasker Zeit seines Lebens mehr auf Komplikationen aus war. Dann trat aber eine neue Generation von jungen Spielern auf den Plan, die das totgesagte Kombinationsspiel neu belebten (Keres, Bronstein, Tal); manchmal bezeichnet man dies auch als die 'neuromantische Schule' im Schach. Überhaupt scheinen auf dem Weltmeisterthron meist ein Kombination- und ein Positionsspieler einander abzulösen: auf den Positionsspieler Steinitz folgte der Kombinationsspieler Lasker, der wiederum von dem Positionsspieler Capablanca abgelöst wurde. Danach kamen der Kombinationsspieler Aljechin, der Positionsspieler Euwe, dann wieder Aljechin, dann der Positionsspieler Botvinnik, der Kombinationsspieler Tal, dann wieder Botvinnik, und nach einigen weiteren Positionsspielern (Smyslov, Petrosian) folgte der Kombinationsspieler Spassky, der von Fischer verdrängt wurde, wobei Fischers Stil wohl eine ausgewogene Mischung oder Synthese von Kombinations- und Positionsstil darstellt. Auf Fischer folgten Karpov (Positionsspieler), Kasparov (Kombinationsspieler), Kramnik (Positionsspieler), Anand (Kombinationsspieler) und Carlsen (Positionsspieler), wobei in jüngerer Zeit diese Unterscheidung nicht mehr so richtig funktioniert. Eigentlich mus jeder hervorragende Großmeister (und schon gar Weltmeister) Positions- und Kombinationsspiel in gleicher Weise beherrschen, sonst erreicht er niemals dieses Niveau. Freilich werden die meisten Spieler die eine oder die andere Art von Schach bevorzugen und deswegen ihre Partien entsprechend anlegen. Aber genau wie es auch ausgezeichnete Positionspartien von Kasparov oder sogar (wenn auch selten) von Tal gibt, so kommen auch bei Karpov oder sogar Petrosian gelegentlich wilde Angriffspartien vor. Es kommt eben nicht immer der bevorzugte Stellungstyp aufs Brett, und in einer ruhigen Stellung wird jetzt auch ein Kasparov nicht plötzlich ganz wild einen Läufer opfern, genauso wie in einer scharfen Angriffsstellung auch Karpov einen Turm reindonnern wird, wenn die Stellung das erfordert bzw. wenn sonst der Vorteil verloren ginge. Ich denke, die Zeiten, wo man eine Stilrichtung als die allein richtige angesehen hat, sind längst vorbei. Und die einzelnen Schachschulen bekriegen sich auch nicht mehr, oder etwa doch? Wenn ich an Robert Weizsäckers kategorisches Urteil über Carlsen denke, bin ich da gar nicht so sicher ...
Nur muss die Mode im Schach sich auch anhand von sportlichen Erfolgen bewähren; ein System mag noch so cool sein, niemand wird es beibehalten, wenn er keine Partien damit gewinnt.
Es stimmt aber auch, dass der vorherrschende Spielstil im Schach auch alle paar Jahrzehnte wieder mal wechselt. Gegen Ende des 19. Jh. wurde das wilde Kombinationsspiel (Anderssen, Zukertort) durch das systematische Spiel auf positionelle Vorteile (Steinitz) abgelöst. Anfang des 20. Jh. wurde das Positionsspiel dann perfektioniert und als das einzig richtige gepriesen. Capablanca ist wohl der Höhepunkt dieser Entwicklung, während Lasker Zeit seines Lebens mehr auf Komplikationen aus war. Dann trat aber eine neue Generation von jungen Spielern auf den Plan, die das totgesagte Kombinationsspiel neu belebten (Keres, Bronstein, Tal); manchmal bezeichnet man dies auch als die 'neuromantische Schule' im Schach. Überhaupt scheinen auf dem Weltmeisterthron meist ein Kombination- und ein Positionsspieler einander abzulösen: auf den Positionsspieler Steinitz folgte der Kombinationsspieler Lasker, der wiederum von dem Positionsspieler Capablanca abgelöst wurde. Danach kamen der Kombinationsspieler Aljechin, der Positionsspieler Euwe, dann wieder Aljechin, dann der Positionsspieler Botvinnik, der Kombinationsspieler Tal, dann wieder Botvinnik, und nach einigen weiteren Positionsspielern (Smyslov, Petrosian) folgte der Kombinationsspieler Spassky, der von Fischer verdrängt wurde, wobei Fischers Stil wohl eine ausgewogene Mischung oder Synthese von Kombinations- und Positionsstil darstellt. Auf Fischer folgten Karpov (Positionsspieler), Kasparov (Kombinationsspieler), Kramnik (Positionsspieler), Anand (Kombinationsspieler) und Carlsen (Positionsspieler), wobei in jüngerer Zeit diese Unterscheidung nicht mehr so richtig funktioniert. Eigentlich mus jeder hervorragende Großmeister (und schon gar Weltmeister) Positions- und Kombinationsspiel in gleicher Weise beherrschen, sonst erreicht er niemals dieses Niveau. Freilich werden die meisten Spieler die eine oder die andere Art von Schach bevorzugen und deswegen ihre Partien entsprechend anlegen. Aber genau wie es auch ausgezeichnete Positionspartien von Kasparov oder sogar (wenn auch selten) von Tal gibt, so kommen auch bei Karpov oder sogar Petrosian gelegentlich wilde Angriffspartien vor. Es kommt eben nicht immer der bevorzugte Stellungstyp aufs Brett, und in einer ruhigen Stellung wird jetzt auch ein Kasparov nicht plötzlich ganz wild einen Läufer opfern, genauso wie in einer scharfen Angriffsstellung auch Karpov einen Turm reindonnern wird, wenn die Stellung das erfordert bzw. wenn sonst der Vorteil verloren ginge. Ich denke, die Zeiten, wo man eine Stilrichtung als die allein richtige angesehen hat, sind längst vorbei. Und die einzelnen Schachschulen bekriegen sich auch nicht mehr, oder etwa doch? Wenn ich an Robert Weizsäckers kategorisches Urteil über Carlsen denke, bin ich da gar nicht so sicher ...
Vabanque - 01. Mär '14
Ja, das ist der eigentliche Grund ... 'über-anthologisierte' (gibt es dieses Wort?) Partien hier zu bringen, hat keinen Wert, in dieser Hinsicht ist die obige (Larsen - Spassky) sowieso schon grenzwertig, allein ich habe schon mindestens 6 Bücher hier, in denen sie besprochen wird ... wobei sich die Kommentare jeweils nicht sehr voneinander unterscheiden (ohne dass sie jeweils direkt abgeschrieben wären).
Hasenrat - 01. Mär '14
Das finde ich großartig - in wenigen skizzenhaften Strichen eine kurze eindrückliche aber umfassende Stilgeschichte des modernen Schachsports! Danke! :)
Aber gleich an einem der ersten Sätze möchte ich anknüpfen:
"Nur muss die Mode im Schach sich auch anhand von sportlichen Erfolgen bewähren; ein System mag noch so cool sein, niemand wird es beibehalten, wenn er keine Partien damit gewinnt."
Wirklich wahr? Immerhin gäbe es auch die Möglichkeit, bewusst Ästhetik über Effizienz und Erfolg (ja, freilich nicht im erfolgabhängigen Profifach) zu stellen - und dann doch einen gewissen Prozentsatz stupenden Erfolg damit zu erreichen - durch eine "revolutionäre Verfeinerung" oder versteckte Neuerung oder einfach eine ungeahnt gesteigerte Ausreizung in der eigentlich überholten und "antiquierten" Technik.
Vergleich: Wäre so wie wenn im Hochsprung plötzlich ein Athlet wieder den Straddle rausholte oder im Skispringen den Parallelstil - und dann trotzdem, zumindest dann u. wann, mit dem Mehrheitsstil mithalten und ihn in den Schatten stellen könnte.
Aber gleich an einem der ersten Sätze möchte ich anknüpfen:
"Nur muss die Mode im Schach sich auch anhand von sportlichen Erfolgen bewähren; ein System mag noch so cool sein, niemand wird es beibehalten, wenn er keine Partien damit gewinnt."
Wirklich wahr? Immerhin gäbe es auch die Möglichkeit, bewusst Ästhetik über Effizienz und Erfolg (ja, freilich nicht im erfolgabhängigen Profifach) zu stellen - und dann doch einen gewissen Prozentsatz stupenden Erfolg damit zu erreichen - durch eine "revolutionäre Verfeinerung" oder versteckte Neuerung oder einfach eine ungeahnt gesteigerte Ausreizung in der eigentlich überholten und "antiquierten" Technik.
Vergleich: Wäre so wie wenn im Hochsprung plötzlich ein Athlet wieder den Straddle rausholte oder im Skispringen den Parallelstil - und dann trotzdem, zumindest dann u. wann, mit dem Mehrheitsstil mithalten und ihn in den Schatten stellen könnte.
Hasenrat - 01. Mär '14
Das Wesentliche, worauf ich hinaus wollte, die These vergessen anzufügen:
Also gäbe es im Schach dann doch die letztlich unbezweifelbar goldene objektive Wahrheit der Spielanlage, den einzig wahren perfekten Weg zum unbezwingbaren Spiel, der sich in der weiteren wissenschaftlichen Entwicklung nur noch weiter herausschälen wird und bloß immer mehr verfeinert werden muss?
Also gäbe es im Schach dann doch die letztlich unbezweifelbar goldene objektive Wahrheit der Spielanlage, den einzig wahren perfekten Weg zum unbezwingbaren Spiel, der sich in der weiteren wissenschaftlichen Entwicklung nur noch weiter herausschälen wird und bloß immer mehr verfeinert werden muss?
Vabanque - 01. Mär '14
Die Ex-Weltmeister Botvinnik und Euwe sahen das wohl im Wesentlichen so. Diese Leute betrachteten Schach sehr wissenschaftlich und schrieben auch entsprechende Abhandlungen. Andere Ex-Weltmeister, wie Aljechin und Smyslov (obwohl sehr verschieden vom Stil her) sahen Schach mehr als Kunst und suchten dem entsprechend nicht nach der letzten objektiven Wahrheit der Spielzüge, sondern strebten nach größtmöglicher Ästhetik. Kasparov strebte eine Verbindung von Wissenschaftlichkeit und Ästhetik an. Andere, wie z.B. Petrosian oder Karpov, waren Pragmatiker. Sie suchten weder nach dem objektiv besten Zug noch nach dem schönsten, sondern nach dem in der jeweiligen Spielsituation (Gegner, Bedenkzeit, Turnierstand, eigenes Befinden etc.) zweckdienlichsten.
Ob man an die mögliche Perfektionierung des Schachs oder die Existenz von 'besten Zügen' glaubt, ist jedem selber überlassen. Ich glaube nicht daran. Untersucht man z.B. mit Houdini oder Stockfish die aktuellen Top-Partien, so sind sie objektiv nicht besser gespielt als die vor (sagen wir) 50 Jahren, wenn man von den Eröffnungen vielleicht mal absieht. Allerdings glaube ich auch nicht wirklich an die Stellungsurteile der Engines, außer natürlich in rein taktischen Situationen, wo Zwangszugfolgen präzise berechnet werden können.
Ob man an die mögliche Perfektionierung des Schachs oder die Existenz von 'besten Zügen' glaubt, ist jedem selber überlassen. Ich glaube nicht daran. Untersucht man z.B. mit Houdini oder Stockfish die aktuellen Top-Partien, so sind sie objektiv nicht besser gespielt als die vor (sagen wir) 50 Jahren, wenn man von den Eröffnungen vielleicht mal absieht. Allerdings glaube ich auch nicht wirklich an die Stellungsurteile der Engines, außer natürlich in rein taktischen Situationen, wo Zwangszugfolgen präzise berechnet werden können.
Vabanque - 01. Mär '14
In gewisser Weise wäre das ja nun wirklich cool, wenn man plötzlich wieder die alten Hochsprung- oder Kugelstoß- oder was auch immer-Techniken im Spitzensport sehen würde!
Nun ja, im Schach sieht man ja auch ab und zu mal ein Königsgambit oder Evansgambit auf Top-Ebene ... und es gab auch Spieler (wie eben Larsen und Tartakower), die an bestimmten Eröffnungssystemen hartnäckig festhielten, obwohl sie sich damit gegen die absolute Elite nur Schlappen einhandelten ... das waren dann (und hier passt der Vergleich zum Sport) auch meist Systeme, die auch damals (!) schon längst als überholt galten (oder die immer schon als ungünstig gegolten hatten).
Ob Larsen bzw. Tartakower seinerzeit hätten Weltmeister werden können, wenn sie immer nur grundsolide Eröffnungssysteme gewählt hätten, steht freilich auf einem anderen Blatt. Solche Fragen können sowieso nie definitiv beantwortet werden.
Nun ja, im Schach sieht man ja auch ab und zu mal ein Königsgambit oder Evansgambit auf Top-Ebene ... und es gab auch Spieler (wie eben Larsen und Tartakower), die an bestimmten Eröffnungssystemen hartnäckig festhielten, obwohl sie sich damit gegen die absolute Elite nur Schlappen einhandelten ... das waren dann (und hier passt der Vergleich zum Sport) auch meist Systeme, die auch damals (!) schon längst als überholt galten (oder die immer schon als ungünstig gegolten hatten).
Ob Larsen bzw. Tartakower seinerzeit hätten Weltmeister werden können, wenn sie immer nur grundsolide Eröffnungssysteme gewählt hätten, steht freilich auf einem anderen Blatt. Solche Fragen können sowieso nie definitiv beantwortet werden.
Hasenrat - 01. Mär '14
Ja, so sehe ich persönlich es im Großen und Ganzen auch. Es kommt darauf an, wie man das Schachspiel grundsätzlich auffasst. So gibt es grundverschiedene Koordinatensysteme in der Anschauung und Bewertung desselben.
Ich selbst würde mich gern zwischen den Ästheten und Pragmatikern verorten wollen.
Wobei auch schon wieder die 'Ästhetik' erst zu definieren wäre ... ;-) was ist "schönes Schachspiel"?
Die strenge, verstiegene Verwissenschaftlichung des Schachs wäre der Kältetod und die Mumifizierung des Schachs - eben schon dadurch, weil sozusagen das Suffix '-spiel' mörderisch abgewürgt und amputiert wäre ...
Trotzdem wundere ich mich, ob dieses feste geregelte, an sich doch wohl mathematische System 'Schach' nicht unter "Laborbedingungen" und größtmöglichem/-denkbarem unbeschränkten Rechnereinsatz der Letztanalyse und -optimierung zugeführt werden könnte - vermutlich ein Unternehmen gleich der "Quadratur des Kreises" oder so ...
Ich selbst würde mich gern zwischen den Ästheten und Pragmatikern verorten wollen.
Wobei auch schon wieder die 'Ästhetik' erst zu definieren wäre ... ;-) was ist "schönes Schachspiel"?
Die strenge, verstiegene Verwissenschaftlichung des Schachs wäre der Kältetod und die Mumifizierung des Schachs - eben schon dadurch, weil sozusagen das Suffix '-spiel' mörderisch abgewürgt und amputiert wäre ...
Trotzdem wundere ich mich, ob dieses feste geregelte, an sich doch wohl mathematische System 'Schach' nicht unter "Laborbedingungen" und größtmöglichem/-denkbarem unbeschränkten Rechnereinsatz der Letztanalyse und -optimierung zugeführt werden könnte - vermutlich ein Unternehmen gleich der "Quadratur des Kreises" oder so ...
Vabanque - 01. Mär '14
Dann hätten wir im Schach das gleiche Problem, das wir bei Mühle und Dame bereits haben - diese Spiele SIND zum Remis ausanalyisiert, was einem allerdings im praktischen Spiel gar nichts bringt.
Und auf die Frage, was schönes Schach nun eigentlich ist, gibt es natürlich ebensowenig eine generelle Antwort ... aber ein gewisser Konsens scheint bei manchen Partien und Kombinationen doch zu bestehen.
Und auf die Frage, was schönes Schach nun eigentlich ist, gibt es natürlich ebensowenig eine generelle Antwort ... aber ein gewisser Konsens scheint bei manchen Partien und Kombinationen doch zu bestehen.