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Verlustpartien der Weltmeister IV : Kasparov-Ivantschuk
Kellerdrache - 14. Aug '16
Zu Ivantschuk habe ich ja bereits anlässlich seiner Partie gegen Karjakin ein paar Worte verloren. Kasparov hat eine ganz besondere Beziehung zu ihm. Immerhin hat er ihn ein Genie genannt. Ein Ausdruck den er sonst selten für jemand anderen als sich selbst verwendet.
Als Weltmeister zeichneten Kasparov neben einer ungeheuren Rechenfähigkeit, einer fehlerlosen Technik und weitsichtigem Wagemut vor allem auch sein Fleiß in der Vorbereitung aus. Immer wieder fand er in alten Varianten entscheidende Verbesserungen und belebte z.B. die schottische Eröffnung wieder. Wer sich mit ihm auf Theorieduelle im Damengambit oder dem Najdorf-Sizilianer einliess bereute es sehr oft.
In der vorliegenden Partie wählt sein Gegner eine sehr unübliche Variante und lässt den Weltmeister erst einmal ins Leere laufen. Als der Gegenangriff dann kommt ist er unaufhaltsam.































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Als Weltmeister zeichneten Kasparov neben einer ungeheuren Rechenfähigkeit, einer fehlerlosen Technik und weitsichtigem Wagemut vor allem auch sein Fleiß in der Vorbereitung aus. Immer wieder fand er in alten Varianten entscheidende Verbesserungen und belebte z.B. die schottische Eröffnung wieder. Wer sich mit ihm auf Theorieduelle im Damengambit oder dem Najdorf-Sizilianer einliess bereute es sehr oft.
In der vorliegenden Partie wählt sein Gegner eine sehr unübliche Variante und lässt den Weltmeister erst einmal ins Leere laufen. Als der Gegenangriff dann kommt ist er unaufhaltsam.
Garry Kasparov Vassily Ivanchuk Horgen SUI | 6 | 1995.10.26 | C16 | 0:1
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. e4 e6 2. d4 d5 3. Sc3 Lb4 4. e5 b6 5. a3 Die Winawer-Variante der französischen Verteidigung. Normalerweise wird zuerst c5 gespielt, aber auch b6 ist keine Neuerung. Die übliche Fortsetzung besteht im Abtausch auf c3, aber auch La5 wird nach c5 immer noch gespielt. Lf8 Das habe ich tatsächlich vorher noch nie gesehen. Wieso zieht man den Läufer auf b4, wenn man dann nichts unternimmt und wieder zurückzieht ? Die Eröffungswahl ist vermutlich psychologisch bedingt. Kasparov war immer als Theorieriese bekannt. Da wo sich Ivantschuk auf Duelle in wohlbekannten Abspielen mit ihm einlies verlor er meistens deutlich. Also spielte er gegen Garri Kasparov oft Seitenvarianten oder absonderliche Züge wie hier. Natürlich ist ein Rückzug wie Lf8 auch eine Provokation des Weltmeisters. 6. Sf3 Se7 7. h4 h6 8. h5 Schwarz hat bisher lauter Züge gemacht mit denen er sich überhaupt nicht festlegt. Selbts das im Franzosen übliche c5 hat er vorerst zurückgehalten. Weiß dagegen spielt von Anfang an gegen den Königsflügel, so als wollte er sagen : Dann zeig mir doch mal was du sonst machen willst. a5 Ein etwas seltsamer Zug. Früher oder später wird Schwarz das Zentrum mit c5 angreifen wollen. Mit diesem Zug verhindert er vorerst, dass sich Weiß mit b4 dagegen stellt. Gleichzeitig legt er sich immer noch nicht fest und lässt seinen Gegner weiter im Ungewissen. 9. Lb5+ c6 10. La4 Der Tempoverlust ist kein Problem. Immerhin steht der Bauer auf c6 ja nicht gut. Hier sieht der Läufer allerdings nicht sehr gut aus. Bei einem potentiellen Bauernvorstoß am Damenflügel bietet er einen zusätzlichen Angriffspunkt. Als Alternative bietet sich Ld3 an Sd7 Jeder der schon ein paar Jahre Schach spielt erinnert sich an Spiele wo der Gegner lauter vorsichtige Züge macht, nirgendwo etwas angreift wo aber auch nirgendwo Schwächen entstehen. Man muß dann sozusagen das Spiel ganz alleine, ohne Beitrag des Gegenübers, machen. In dieser undankbaren Situation befindet Kasparov sich. 11. Se2 Der Plan ähnelt sehr dem aus der Variante zum 10. Zug. Das Zentrum wird befestigt und alles wird hin zum Königsflügel orientiert. Nur befindet sich dort noch kein Angriffspunkt. b5 Hier zeigt sich der Nachteil des Läufers auf a4. Er will ohnehin auf die Diagonale b1-h7, wo er nach Ld3 sofort gewesen wäre. Ivantschuk gewinnt durch die Angriffe auf den Läufer wichtige Tempi. 12. Lb3 c5 13. c3 Sc6 Schwarz hat die Drohung irgendwann mit b4 durchzubrechen. 14. O-O Dc7 Weiß hat immer noch den Vorteil besser entwickelt zu sein. Untypischerweise trödelt Kasparov aber weiter. Da er sich schon auf einen Angriff am Königsflügel festgelegt hat wäre es Zeit mit Sh2 nebst f4 einen Vorstoss zu wagen. Dann könnte auch der weißfeldrige Läufer von c2 aus einen weiteren Marsch nach f5 usw. unterstützen. Dies ist keineswegs meine Eingebung sondern so von mehreren Kommentatoren beschrieben, leuchtet aber durchaus ein. 15. Te1 c4 16. Lc2 Sb6 17. Lf4 Kasparovs Spiel in dieser Partie ist umständlich und langsam. Vermutlich unterschätzte er die schwarzen Möglichkeiten am anderen Flügel Le7 18. Lg3 Tb8 19. Sh2 Mit einigen Zügen Verspätung beginnt der Vorstoß-Plan, der weiter vorne erläutert wurde. Aber jetzt ist die gegnerische Entwicklung weiter fortgeschritten und der Zug Te1 erweißt sich als nutzlos. Dd8 Leider hat niemand diesen Zug kommentiert. Ich vermute Ivantschuk wollte die Dame aus der Diagonale des Lg3 entfernen. 20. Sg4 Ein gutes Feld für den Springer. Er kann von hier nach e3 wo er den Vormarsch des f-Bauern unterstützt. Nach O-O von Schwarz könnten sich auch Opfermöglichkeiten auf h6 ergeben b4 Ivantschuk tut Kasparov nicht den Gefallen zu rochieren. Der ist momentan noch Meilen von einer Öffnung des Zentrums entfernt. Daher ist der König auf e8 vorerst völlig sicher. Stattdessen beginnt der Gegenangriff am Damenflügel. 21. xb4 xb4 22. xb4 Der Weltmeister ist zu folgsam und spielt genau was von ihm erwartet wird. Sxb4 23. Lb1 Ld7 Langsam vervollständigt Schwarz seine Entwicklung. Nur die Rochade fehlt noch. a4 wäre sowohl für den Läufer als auch für den Springer von b6 ein schönesZiel. 24. b3 Eventuell ist Dd2 besser um die Rochade zu erschweren, da dann die erwähnten Opfermöglichkeiten auf h6 in Frage kämen. Ta8 25. Txa8 Weiß hatte eine andere Wahl als die Kontrolle über die offene a-Linie herzugeben. Dxa8 26. xc4 dadurch landen beide schwarze Springer auf exzellenten Feldern. Aber schlägt Weiß nicht kommt der Springer z.B. nach 26..cxb3 27. Dxb3 Sc4 doch auf sein Wunschfeld. Sxc4 27. Sc1 La4 Es ist erstaunlich zu sehen wie schnell sich der Angriff des Schwarzen entwickelt hat sobald der Damenflügel geöffnet war. Jetzt wird bald der zurückhängende Bauer d4 schwach werden. 28. De2 Da7 es gibt tatsächlich keine passable Deckung 29. Se3 Dxd4 30. Sxc4 xc4 Der einzelne Minusbauer wäre vielleicht nicht so tragisch, doch der Freibauer ist ohne Materialverlust kam aufzuhalten. 31. Df1 O-O Quasi als finale Demütigung rochiert Ivantschuk im 31. Zug auch noch. Zuerst legte Kasparov sich sehr früh fest und nahm in der entscheidenden Phase dann den Fuß vom Gas.
Vabanque - 14. Aug '16
Eine erstaunliche Partie. Die schwarze Stellung scheint sich zu jedem Zeitpunkt eigentlich von selbst zu spielen. Zuerst wartet Ivantschuk ab, dann verstärkt er mit einfachen Zügen Zug um Zug seine Stellung am Damenflügel, und schließlich gewinnt er Material - und all das ohne eine einzige Kombination!! Eine Partie wirklich mit NULL Taktik - aber wahrscheinlich muss man genau so spielen, um den großen Taktiker Kasparov zu besiegen.
Nur erkenne ich den Stil Ivantschuks in dieser Partie nicht wieder. Er spielt doch sonst selber ganz ungeheuer komplizierte taktische Sachen, die sehr schwer zu verstehen sind (aber sehr faszinierend).
Hier dagegen meint man, alles zu verstehen. Aber wenn dem wirklich so wäre, dann wäre es ja ganz einfach, einen Kasparov zu besiegen, oder? ;)
Nur erkenne ich den Stil Ivantschuks in dieser Partie nicht wieder. Er spielt doch sonst selber ganz ungeheuer komplizierte taktische Sachen, die sehr schwer zu verstehen sind (aber sehr faszinierend).
Hier dagegen meint man, alles zu verstehen. Aber wenn dem wirklich so wäre, dann wäre es ja ganz einfach, einen Kasparov zu besiegen, oder? ;)
Vabanque - 14. Aug '16
Übrigens ist diese Variante des Winawer-Systems, wo Schwarz zunächst auf c5 verzichtet, und den Lb4 sogar nach f8 zurückzieht, von Petrosjan in die Praxis eingeführt und oft mit Erfolg angewandt worden.
Ein paar kleine Schreibfehler haben sich (wie übrigens auch in meiner heute reingestellten Partie!) in die sonst natürlich gewohnt gute Kommentierung eingeschlichen; ich erwähne nur einen, weil er Sinn entstellend ist:
Im Kommentar zum 25. Zug von Weiß muss es sicher heißen: 'Weiß hatte KEINE andere Wahl ... '
Ein paar kleine Schreibfehler haben sich (wie übrigens auch in meiner heute reingestellten Partie!) in die sonst natürlich gewohnt gute Kommentierung eingeschlichen; ich erwähne nur einen, weil er Sinn entstellend ist:
Im Kommentar zum 25. Zug von Weiß muss es sicher heißen: 'Weiß hatte KEINE andere Wahl ... '
Vabanque - 15. Aug '16
Übrigens, noch eine Bemerkung zu Hasenrat, der mal behauptete, man könne nie früh genug rochieren: hier sieht man, dass eine frühe Rochade für Schwarz ein Fehler gewesen wäre, denn dann hätte Weiß den Angriff erlangt, auf den sein Aufbau ausgerichtet war. Dadurch, dass Schwarz auf die Rochade verzichtete, wurden alle weißen Angriffsmöglichkeiten verhindert. Natürlich ist die Rochade im 31. Zug dann eine besondere Pikanterie dieser Partie - und es wird wenige Partien geben, wo Weiß nach der schwarzen Rochade direkt aufgab :)
Vabanque - 15. Aug '16
Aber nach 3 Kommentaren von mir könnte jetzt schon noch jemand anders in die Diskussion einsteigen; natürlich können auch Monologe interessant sein (man denke an den Hamlet-Monolog), aber mir sind Dialoge eigentlich (hier) lieber ;)
Hasenrat - 15. Aug '16
Ja, Vabanque, tatsächlich habe auch ich beim Nachspielen dieser Partie unmittelbar an das kürzliche Rochadethema gedacht.
Ich habe das behauptet ohne mit echter Überzeugung dahinter zu stehen. Ich dachte es sei eine gute Faustregel für Anfänger u. Ungeübte.
Ich selbst lasse meinen König auch gern ein bisschen länger in der Mitte - zumal wenn ich doch chronisch unentschlossen bin, auf welchem Flügel es losgehen soll ...
Ich habe das behauptet ohne mit echter Überzeugung dahinter zu stehen. Ich dachte es sei eine gute Faustregel für Anfänger u. Ungeübte.
Ich selbst lasse meinen König auch gern ein bisschen länger in der Mitte - zumal wenn ich doch chronisch unentschlossen bin, auf welchem Flügel es losgehen soll ...
Battle - 15. Aug '16
Kasparov war wohl komplexbehaftet. Wenn er den Partner als Genie sieht, ist er mental in der Defensive.
So hat er dann auch gespielt.
So hat er dann auch gespielt.
Vabanque - 15. Aug '16
>>Ich habe das behauptet ohne mit echter Überzeugung dahinter zu stehen. Ich dachte es sei eine gute Faustregel für Anfänger u. Ungeübte.<<
Das ist es sicherlich. In Lehrbüchern für Anfänger steht immer 'Rochiere früh'.
Dass es auch ZU früh sein kann, wird mein nächstes Beispiel in der Reihe 'Glanzpartien unbekannter Spieler zeigen.' Dort rochierte ein GM lehrbuchmäßig früh - und kam grausamst (gelinde gesagt!) unter die Räder.
Das ist es sicherlich. In Lehrbüchern für Anfänger steht immer 'Rochiere früh'.
Dass es auch ZU früh sein kann, wird mein nächstes Beispiel in der Reihe 'Glanzpartien unbekannter Spieler zeigen.' Dort rochierte ein GM lehrbuchmäßig früh - und kam grausamst (gelinde gesagt!) unter die Räder.
Kellerdrache - 15. Aug '16
Man kann, glaube ich, aus der vorliegenden Partie ein paar Indizien dafür ableiten wann es Sinn macht die Rochade hinauszuzögern.
Punkt eins ist natürlich, dass der Gegner die Stellung nicht kurzfristig öffnen kann. Punkt zwei wäre dass der Andere sich frühzeitig festgelegt hat und man in ein Schlachtfeld hinein rochieren würde.
Punkt drei ist man braucht jedes Tempo und hat für eine nicht dringend notwendige Rochade keine Zeit.
Der vierte und letzte Punkt besteht darin, dass man in der kritischen Stellung auch ohne verbundene Türme auskommen können muss.
Ich denke aus dieser kurzen Auflistung geht aber auch hervor, dass es in der Regel doch besser ist zeitig zu rochieren.
Punkt eins ist natürlich, dass der Gegner die Stellung nicht kurzfristig öffnen kann. Punkt zwei wäre dass der Andere sich frühzeitig festgelegt hat und man in ein Schlachtfeld hinein rochieren würde.
Punkt drei ist man braucht jedes Tempo und hat für eine nicht dringend notwendige Rochade keine Zeit.
Der vierte und letzte Punkt besteht darin, dass man in der kritischen Stellung auch ohne verbundene Türme auskommen können muss.
Ich denke aus dieser kurzen Auflistung geht aber auch hervor, dass es in der Regel doch besser ist zeitig zu rochieren.
Vabanque - 15. Aug '16
Sehr gut dargelegt!
Sam0907 - 15. Aug '16
Eine Rochade hat den Vorteil, das sein Turm entwickelt wird und der König geschützt wird. Aber es ist immer auch von der Stellung/Situation abhängig. Da muss man abwägen. Z.B. bei Angriffsspieler.
Steht der Turm auf der f- oder e-Linie besser oder kann man den Turm auf der h-Linie lassen und mittels h4 - h5 ...... den schwarzen König stürmen ( natürlich nur wenn der schon kurz rochiert hat ). Auch auf der f-Linie kann der Turm sehr angriffslustig werden.
Wie gesagt - hat etwas mit dem Stil eines Spielers zu tun.
In der oben aufgeführten Partie stößt Weiß mit seinen Bauern die h-Linie entlang und sein Turm auf der h-Linie schielt auch in diese Richtung.
Aber Schwarz rochiert nicht, womit Garry wohl gerechnet hat. Natürlich hätte er weiter Dampf machen sollen - siehe Kommentar nach dem 14. schwarzen Zug.
Daran erkennt man, das eine Rochade nicht wirklich immer notwendig ist. Ich gebe hier Kellerdrache vollkommen recht.
Nichtsdestotrotz - siehe meinen ersten Satz.
Steht der Turm auf der f- oder e-Linie besser oder kann man den Turm auf der h-Linie lassen und mittels h4 - h5 ...... den schwarzen König stürmen ( natürlich nur wenn der schon kurz rochiert hat ). Auch auf der f-Linie kann der Turm sehr angriffslustig werden.
Wie gesagt - hat etwas mit dem Stil eines Spielers zu tun.
In der oben aufgeführten Partie stößt Weiß mit seinen Bauern die h-Linie entlang und sein Turm auf der h-Linie schielt auch in diese Richtung.
Aber Schwarz rochiert nicht, womit Garry wohl gerechnet hat. Natürlich hätte er weiter Dampf machen sollen - siehe Kommentar nach dem 14. schwarzen Zug.
Daran erkennt man, das eine Rochade nicht wirklich immer notwendig ist. Ich gebe hier Kellerdrache vollkommen recht.
Nichtsdestotrotz - siehe meinen ersten Satz.