Small talk
Kriminalroman mit Schach: The Bishop Murder Case
Vabanque - 05. Mär '25
Gestern habe ich den klassischen Kriminalroman
S.S. van Dine - Der Mordfall Bischof (The Bishop Murder Case, 1928)
in der ungekürzten Übersetzung von Sascha Mantscheff (1987, DuMont Verlag) zu Ende gelesen.
Ein richtiger Schachroman ist dieser Krimi zwar nicht, doch spielt Schach an etlichen Stellen eine wichtige Rolle.
Der Täter nennt sich 'Bischof', und um einen schwarzen Läufer (im Englischen heißt der Läufer ja 'bishop') geht es hier unter anderem (auch das Buch-Cover zeigt einen solchen).
Aber es kommt sogar echtes Schach vor. Einer der Protagonisten (ein Mathematiker und Schachmäzen) hat nicht nur ein nach ihm benanntes Gambit erfunden (leider werden die Züge nicht mitgeteilt), das von Janowski und Tarrasch analysiert (und widerlegt!) worden ist, nein, er spielt sogar drei Schaupartien gegen Akiba Rubinstein, der zu der Zeit der Handlung auf einer USA-Tournee ist, wovon er die erste verliert und die zweite remisiert. Die dritte Partie wird abgebrochen, und es entsteht eine Kontroverse über die Abbruchstellung. Der Protagonist glaubt sich in chancenreicher Stellung, aber ein Mathematikerkollege widerspricht ihm und behält Recht: Rubinstein findet eine Widerlegung und gewinnt. Die vollständige Partienotation wird im Roman nicht abgedruckt, nur die Schlussstellung, in der der Protagonist mit Weiß gegen Rubinstein aufgegeben hat:
Tatsächlich würde Weiß am Ende durch einen schwarzen Läufer (bishop) in der Ecke mattgesetzt (d.h. auch in der Partie ist der 'Bischof' der Mörder!):
1. Txc2 Sxc2 2. Kxc2 b1D+! 3. Kxb1 Kd3 Zugzwang! 4. Ka1 Kc2 5. d3/d4 Lb2#
Ich vermute, dass dieser Partieschluss konstruiert ist. Oder kennt jemand eine reale (vor 1928 gespielte) Partie mit diesem Ende?
Morphy, Maroczy, Capablanca und Marshall finden (neben anderen tatsächlich existierenden Spielern) ebenfalls Erwähnung, und auch der legendäre Manhattan Chess Club. Eine Partie Marshall-Shapiro scheint mir mit ziemlicher Sicherheit fiktiv, jedenfalls kann ich keine solche Partie finden (erst viel später, nämlich 1944, spielte Marshall im Simultan gegen einen Shapiro und verlor).
Ansonsten kommt in dem Roman noch so einiges an Mathematik und theoretischer Physik vor, z.B. findet man unter der zweiten Leiche einen abgerissenen Zettel, auf dem eine Formel aus der Allgemeinen Relativitästheorie steht, nämlich der (tatsächlich existierende) Riemann-Christoffel-Tensor. Aber es gibt im Buch auch Diskussionen über Quantenmechanik und Kosmologie.
Natürlich kann man diesen 1928 geschriebenen Krimi nicht mit einem modernen Werk dieses Genres vergleichen. Das Erzähltempo ist für heutige Verhältnisse langsam, die Verhöre detailliert. Die Verbrechen selbst sind zwar grausig, werden aber nur sachlich-nüchtern beschrieben. Träge schleppen sich die Ermittlungen dahin, und nur ab und zu geschieht etwas (z.B. ein weiterer Todesfall oder eine sonstige Überraschung).
Die Bedeutung des Romans liegt allerdings darin, dass er wohl der erste war, in dem ein psychopathischer Mörder nach Kinderreimen vorgeht. Da es sich um englische Kinderreime (aus der Sammlung Mother Goose) handelt, sind sie dem deutschen Leser natürlich nicht vertraut, und so sehr sich der Übersetzer auch um eine angemessene Übertragung bemüht (und dementsprechend sogar einige Namen von Protagonisten geändert hat, damit sie zur deutschen Fassung der Kinderreime passen), ist die Wirkung doch nicht so groß wie auf einen englischsprachigen Leser, der diese Reime genau so gut kennt wie wir unser 'Hänschen klein'. (Immerhin kennt man hierzulande einen dieser Reime, nämlich den vom 'Humpty Dumpty', weil er auch in 'Alice in Wonderland' auftaucht.)
Später haben AutorIinnen wie Agatha Christie oder Ellery Queen das 'Verfahren' eines Mörders, nach Kinderreimen zu morden, vielfach aufgegriffen, am berühmtesten vielleicht in Christies 'Mausefalle'.
Trotz der relativ großen Bedeutung von Schach in diesem Roman wird man ihn nur dann einem schachbegeisterten Leser empfehlen können, wenn er auch zugleich ein Faible für klassische Kriminalromane aus den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts hat, vor allem für Krimis, die nicht auf Action, sondern auf Logik und Psychologie basieren (wobei die psychologischen Argumente wohl zugleich etwas zweifelhaft sind, jedenfalls hat mich das Motiv des Täters letztlich nicht gänzlich überzeugt). Vom Milieu her ist der Roman aber auf alle Fälle bis heute ungewöhnlich, denn alle Verdächtigen sind Mathematiker oder Physiker, und mir ist kein weiteres Werk bekannt, in dem dies ebenfalls so ist.
'Der Mordfall Bischof' ist in deutscher Übersetzung zurzeit nur antiquarisch erhältlich, allerdings bei booklooker vielfach zum Preis von unter einem Euro (freilich kommen noch Versandkosten hinzu). Eine stark gekürzte Version gab es unter dem Titel 'Mordakte Bischof' vom Heyne-Verlag, ich empfehle aber trotz der Langatmigkeit unbedingt die vollständige Fassung vom DuMont-Verlag zu lesen (trotz einiger kleinerer Übersetzungsfehler, vor allem bei wissenschaftlichen Begriffen), oder wohl noch besser die englische Originalversion, die als e-book sehr günstig zu haben ist (als Buch wird es sonst sehr teuer!). Ich kenne die gekürzte Fassung zwar nicht, habe aber den starken Verdacht, dass dort viel Schach und auch viel von den wissenschaftlichen Diskussionen verloren gegangen sein muss. Eine Vorkriegs-Ausgabe ist 1932 unter dem Titel 'Das Zimmer des Schweigens' erschienen und könnte von der Seitenzahl her ebenfalls (annähernd) vollständig sein.
Mein Fazit: Von diesem Krimi kann man zwar über weite Strecken nicht besonders viel Spannung (außer gegen Ende zu), aber jedenfalls einen originell und raffiniert konstruierten Fall und vor allem Protagonisten in einem ungewöhnlichen Milieu erwarten.
Von 10 Punkten würde ich persönlich 6 bis 7 Punkte vergeben.
S.S. van Dine - Der Mordfall Bischof (The Bishop Murder Case, 1928)
in der ungekürzten Übersetzung von Sascha Mantscheff (1987, DuMont Verlag) zu Ende gelesen.
Ein richtiger Schachroman ist dieser Krimi zwar nicht, doch spielt Schach an etlichen Stellen eine wichtige Rolle.
Der Täter nennt sich 'Bischof', und um einen schwarzen Läufer (im Englischen heißt der Läufer ja 'bishop') geht es hier unter anderem (auch das Buch-Cover zeigt einen solchen).
Aber es kommt sogar echtes Schach vor. Einer der Protagonisten (ein Mathematiker und Schachmäzen) hat nicht nur ein nach ihm benanntes Gambit erfunden (leider werden die Züge nicht mitgeteilt), das von Janowski und Tarrasch analysiert (und widerlegt!) worden ist, nein, er spielt sogar drei Schaupartien gegen Akiba Rubinstein, der zu der Zeit der Handlung auf einer USA-Tournee ist, wovon er die erste verliert und die zweite remisiert. Die dritte Partie wird abgebrochen, und es entsteht eine Kontroverse über die Abbruchstellung. Der Protagonist glaubt sich in chancenreicher Stellung, aber ein Mathematikerkollege widerspricht ihm und behält Recht: Rubinstein findet eine Widerlegung und gewinnt. Die vollständige Partienotation wird im Roman nicht abgedruckt, nur die Schlussstellung, in der der Protagonist mit Weiß gegen Rubinstein aufgegeben hat:
Move piece
Chessboard as table
a | b | c | d | e | f | g | h | |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
8 | Rook White | |||||||
7 | ||||||||
6 | ||||||||
5 | ||||||||
4 | Knight Black | King Black | ||||||
3 | Bishop Black | |||||||
2 | Pawn White | Pawn Black | Pawn Black | Pawn White | ||||
1 | King White |
Pieces lists
Pieces White
- King b1
- Rook c8
- Pawn a2
- Pawn d2
Pieces Black
- King d4
- Bishop a3
- Knight b4
- Pawn b2
- Pawn c2
Tatsächlich würde Weiß am Ende durch einen schwarzen Läufer (bishop) in der Ecke mattgesetzt (d.h. auch in der Partie ist der 'Bischof' der Mörder!):
1. Txc2 Sxc2 2. Kxc2 b1D+! 3. Kxb1 Kd3 Zugzwang! 4. Ka1 Kc2 5. d3/d4 Lb2#
Ich vermute, dass dieser Partieschluss konstruiert ist. Oder kennt jemand eine reale (vor 1928 gespielte) Partie mit diesem Ende?
Morphy, Maroczy, Capablanca und Marshall finden (neben anderen tatsächlich existierenden Spielern) ebenfalls Erwähnung, und auch der legendäre Manhattan Chess Club. Eine Partie Marshall-Shapiro scheint mir mit ziemlicher Sicherheit fiktiv, jedenfalls kann ich keine solche Partie finden (erst viel später, nämlich 1944, spielte Marshall im Simultan gegen einen Shapiro und verlor).
Ansonsten kommt in dem Roman noch so einiges an Mathematik und theoretischer Physik vor, z.B. findet man unter der zweiten Leiche einen abgerissenen Zettel, auf dem eine Formel aus der Allgemeinen Relativitästheorie steht, nämlich der (tatsächlich existierende) Riemann-Christoffel-Tensor. Aber es gibt im Buch auch Diskussionen über Quantenmechanik und Kosmologie.
Natürlich kann man diesen 1928 geschriebenen Krimi nicht mit einem modernen Werk dieses Genres vergleichen. Das Erzähltempo ist für heutige Verhältnisse langsam, die Verhöre detailliert. Die Verbrechen selbst sind zwar grausig, werden aber nur sachlich-nüchtern beschrieben. Träge schleppen sich die Ermittlungen dahin, und nur ab und zu geschieht etwas (z.B. ein weiterer Todesfall oder eine sonstige Überraschung).
Die Bedeutung des Romans liegt allerdings darin, dass er wohl der erste war, in dem ein psychopathischer Mörder nach Kinderreimen vorgeht. Da es sich um englische Kinderreime (aus der Sammlung Mother Goose) handelt, sind sie dem deutschen Leser natürlich nicht vertraut, und so sehr sich der Übersetzer auch um eine angemessene Übertragung bemüht (und dementsprechend sogar einige Namen von Protagonisten geändert hat, damit sie zur deutschen Fassung der Kinderreime passen), ist die Wirkung doch nicht so groß wie auf einen englischsprachigen Leser, der diese Reime genau so gut kennt wie wir unser 'Hänschen klein'. (Immerhin kennt man hierzulande einen dieser Reime, nämlich den vom 'Humpty Dumpty', weil er auch in 'Alice in Wonderland' auftaucht.)
Später haben AutorIinnen wie Agatha Christie oder Ellery Queen das 'Verfahren' eines Mörders, nach Kinderreimen zu morden, vielfach aufgegriffen, am berühmtesten vielleicht in Christies 'Mausefalle'.
Trotz der relativ großen Bedeutung von Schach in diesem Roman wird man ihn nur dann einem schachbegeisterten Leser empfehlen können, wenn er auch zugleich ein Faible für klassische Kriminalromane aus den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts hat, vor allem für Krimis, die nicht auf Action, sondern auf Logik und Psychologie basieren (wobei die psychologischen Argumente wohl zugleich etwas zweifelhaft sind, jedenfalls hat mich das Motiv des Täters letztlich nicht gänzlich überzeugt). Vom Milieu her ist der Roman aber auf alle Fälle bis heute ungewöhnlich, denn alle Verdächtigen sind Mathematiker oder Physiker, und mir ist kein weiteres Werk bekannt, in dem dies ebenfalls so ist.
'Der Mordfall Bischof' ist in deutscher Übersetzung zurzeit nur antiquarisch erhältlich, allerdings bei booklooker vielfach zum Preis von unter einem Euro (freilich kommen noch Versandkosten hinzu). Eine stark gekürzte Version gab es unter dem Titel 'Mordakte Bischof' vom Heyne-Verlag, ich empfehle aber trotz der Langatmigkeit unbedingt die vollständige Fassung vom DuMont-Verlag zu lesen (trotz einiger kleinerer Übersetzungsfehler, vor allem bei wissenschaftlichen Begriffen), oder wohl noch besser die englische Originalversion, die als e-book sehr günstig zu haben ist (als Buch wird es sonst sehr teuer!). Ich kenne die gekürzte Fassung zwar nicht, habe aber den starken Verdacht, dass dort viel Schach und auch viel von den wissenschaftlichen Diskussionen verloren gegangen sein muss. Eine Vorkriegs-Ausgabe ist 1932 unter dem Titel 'Das Zimmer des Schweigens' erschienen und könnte von der Seitenzahl her ebenfalls (annähernd) vollständig sein.
Mein Fazit: Von diesem Krimi kann man zwar über weite Strecken nicht besonders viel Spannung (außer gegen Ende zu), aber jedenfalls einen originell und raffiniert konstruierten Fall und vor allem Protagonisten in einem ungewöhnlichen Milieu erwarten.
Von 10 Punkten würde ich persönlich 6 bis 7 Punkte vergeben.
Tschechov - 05. Mär '25
Danke für den Lesetipp, werde ich unbedingt antesten.
toby84 - 05. Mär '25
ja das sieht schon sehr konstruiert aus. aber das ist ja ok für ein literarisches werk.
"Der Protagonist glaubt sich in chancenreicher Stellung"
damit ist wohl gemeint, dass gute chancen auf remis bestehen. das stimmt vermutlich sogar, wenn die umwandlung in die dame nicht gewinnen würde. auf sieg hat weiß jedenfalls zweifellos keine chancen mehr.
"Der Protagonist glaubt sich in chancenreicher Stellung"
damit ist wohl gemeint, dass gute chancen auf remis bestehen. das stimmt vermutlich sogar, wenn die umwandlung in die dame nicht gewinnen würde. auf sieg hat weiß jedenfalls zweifellos keine chancen mehr.
Vabanque - 05. Mär '25
Edited
Oh, da habe ich mich wohl unklar ausgedrückt ... in der Abbruchstellung (im Buch nicht angegeben!) glaubte sich der Protagonist in chancenreicher Stellung (obwohl im Roman auch nicht klar wird, ob er sich Chancen auf Sieg oder auf Remis ausrechnet!), aber nach Wiederaufnahme der Partie wurden noch etliche Züge gespielt, bevor die einzige im Buch angegebene Stellung (nämlich obige) entstand, in der Weiß dann bereits aufgab.
Relevant für die Romanhandlung ist die Stellung ja nur insofern, als dass am Schluss der Mattzug durch einen schwarzen Läufer ausgeführt wird, genau diejenige Figur, die auch aus einem bestimmten Satz Figuren verschwunden ist, und genau die Figur, die auch für den Mörder steht.
Ich fand die Stellung und die Gewinnfortsetzung aber interessant genug, um sie hier zu posten. (Weiß wird übrigens auch matt, wenn er nicht mit dem K auf c2 nimmt.)
Relevant für die Romanhandlung ist die Stellung ja nur insofern, als dass am Schluss der Mattzug durch einen schwarzen Läufer ausgeführt wird, genau diejenige Figur, die auch aus einem bestimmten Satz Figuren verschwunden ist, und genau die Figur, die auch für den Mörder steht.
Ich fand die Stellung und die Gewinnfortsetzung aber interessant genug, um sie hier zu posten. (Weiß wird übrigens auch matt, wenn er nicht mit dem K auf c2 nimmt.)
Vabanque - 14. Mär '25
Eigentlich hatte ich ja gedacht, dass diese Buchvorstellung das Interesse von SF Hasenrat wecken würde🤔
Vabanque - 14. Mär '25
Übrigens gibt es eine Verfilmung, einen frühen Tonfilm von 1929 mit Basil Rathbone, der hier das erste und einzige Mal den Detektiv Philo Vance spielte (später wurde dieser hauptsächlich von William Powell dargestellt).
Der Film 'The Bishop Murder Case' scheint allerdings nicht (mehr) auf youtube zu sehen zu sein.
Der Film 'The Bishop Murder Case' scheint allerdings nicht (mehr) auf youtube zu sehen zu sein.
Hasenrat - 23 hrs ago
Vabanque - 14. Mär '25
Eigentlich hatte ich ja gedacht, dass diese Buchvorstellung das Interesse von SF Hasenrat wecken würde🤔
😁
Interessant, ja, doch. Aber ich hab nichts zu kommentieren! Außer meinen Dank auszusprechen für einen weiteren Literaturtipp. 😉
Eigentlich hatte ich ja gedacht, dass diese Buchvorstellung das Interesse von SF Hasenrat wecken würde🤔
😁
Interessant, ja, doch. Aber ich hab nichts zu kommentieren! Außer meinen Dank auszusprechen für einen weiteren Literaturtipp. 😉
Vabanque - 17 hrs ago
>>Aber ich hab nichts zu kommentieren!<<
Vielleicht während bzw. vorzugsweise nach eigener Lektüre?😉
Vielleicht während bzw. vorzugsweise nach eigener Lektüre?😉