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Ein vergessenes Meisterwerk Fischers
Vabanque - 06. Mär '14
Die meisten Partien von Fischer haben großes Aufsehen
erregt und sind in diversen Büchern immer wieder
abgedruckt worden (meist mit sehr ähnlichen
Kommentaren). Merkwürdigerweise scheint die folgende
Partie völlig übersehen worden zu sein; sie ist weder
in Fischers eigenem Werk 'My 60 memorable Games' noch
in irgendeiner der großen Anthologien enthalten. Das
ist umso erstaunlicher, wenn man Fischers geniales
Spiel in dieser Partie betrachtet. Sein Gegner, ein
feuriger Argentinier, versucht ihn von Anfang an vom
Brett zu fegen. Er wirft alle Truppen nach vorne,
bringt ein Figurenopfer, das Fischer nicht anzunehmen
wagen darf, und scheint bereits auf der Siegerstraße zu
sein, als Fischer mit einer weit berechneten defensiven
Kombination, die in dem völlig überraschenden 25. Zug
gipfelt, den Angriff niederschlägt und in ein
gewonnenes Turmendspiel überleitet. Die zweite Phase
der Partie, die in dem technischen Gewinn dieses
Endspiels besteht, ist nicht minder faszinierend und
lehrreich als die taktische Phase.
Meine einzige Erklärung dafür, dass diese Partie
unbeachtet geblieben ist, besteht darin, dass sie in
einem Turnier gespielt worden ist, in dem Fischer sehr
schlecht abgeschnitten hat (er verlor 5 Partien,
remisierte 11, und gewann nur 3 und landete damit im
letzten Drittel des Feldes, während sich sein Gegner in
dieser Partie im vorderen Drittel platzierte!)
Ziel meines bescheidenen Beitrags ist es, damit ein
unbekanntes Meisterwerk Fischers vielleicht erstmalig
ins rechte Licht zu rücken.
Meine Kommentare sollen weniger als ernsthafte Analysen
verstanden werden; sie sind vielmehr Versuche, die strategischen
und taktischen Motive hinter den Zügen zu erklären, was
in den üblichen Partiekommentierungen in meinen Augen meist
viel zu wenig geschieht.































PGN anzeigen
erregt und sind in diversen Büchern immer wieder
abgedruckt worden (meist mit sehr ähnlichen
Kommentaren). Merkwürdigerweise scheint die folgende
Partie völlig übersehen worden zu sein; sie ist weder
in Fischers eigenem Werk 'My 60 memorable Games' noch
in irgendeiner der großen Anthologien enthalten. Das
ist umso erstaunlicher, wenn man Fischers geniales
Spiel in dieser Partie betrachtet. Sein Gegner, ein
feuriger Argentinier, versucht ihn von Anfang an vom
Brett zu fegen. Er wirft alle Truppen nach vorne,
bringt ein Figurenopfer, das Fischer nicht anzunehmen
wagen darf, und scheint bereits auf der Siegerstraße zu
sein, als Fischer mit einer weit berechneten defensiven
Kombination, die in dem völlig überraschenden 25. Zug
gipfelt, den Angriff niederschlägt und in ein
gewonnenes Turmendspiel überleitet. Die zweite Phase
der Partie, die in dem technischen Gewinn dieses
Endspiels besteht, ist nicht minder faszinierend und
lehrreich als die taktische Phase.
Meine einzige Erklärung dafür, dass diese Partie
unbeachtet geblieben ist, besteht darin, dass sie in
einem Turnier gespielt worden ist, in dem Fischer sehr
schlecht abgeschnitten hat (er verlor 5 Partien,
remisierte 11, und gewann nur 3 und landete damit im
letzten Drittel des Feldes, während sich sein Gegner in
dieser Partie im vorderen Drittel platzierte!)
Ziel meines bescheidenen Beitrags ist es, damit ein
unbekanntes Meisterwerk Fischers vielleicht erstmalig
ins rechte Licht zu rücken.
Meine Kommentare sollen weniger als ernsthafte Analysen
verstanden werden; sie sind vielmehr Versuche, die strategischen
und taktischen Motive hinter den Zügen zu erklären, was
in den üblichen Partiekommentierungen in meinen Augen meist
viel zu wenig geschieht.
Carlos Enrique Guimard Robert James Fischer Buenos Aires | Buenos Aires ARG | 15 | 1960.07.12 | A48 | 0:1
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. d4 Sf6 2. Sf3 g6 3. Lg5 Lg7 4. Sbd2 d6 5. e4 h6 6. Lxf6 Lxf6 7. Lb5+ Durch das unorthodoxe Spiel von Weiß wurde hier vermutlich schon die 'theoriefreie Zone' erreicht. c6 8. Ld3 O-O Fischer lässt den Vorstoß des weißen e-Bauern zu ... 9. e5 Lg7 10. De2 c5 ... um aber sofort das weiße Bauernzentrum zu beschießen. 11. h4 Angriff um jeden Preis! Nach der klassischen Theorie ist ein Flügelangriff nur bei gesichertem Zentrum Erfolg verprechend. Hier, wo Schwarz bereits begonnen hat, das weiße Zentrum anzuknabbern, darf die weiße Unternehmung als zweifelhaft angesehen werden. Allerdings ist sie sehr gefährlich, wie wir gleich sehen werden, und erfordert von Seiten des Verteidigers genauestes Spiel. xd4 12. h5 g5 Schwarz versucht die Linienöffnung am Königsflügel natürlich so weit wie möglich zu vermeiden. 13. De4 Schon droht direkt Matt. f5 14. ef6 Gäbe es das en passant-Schlagen nicht, hätte hier Schwarz bereits Gewinnstellung. Txf6 Damit hat der schwarze König gerade noch ein Fluchtfeld. 15. Sxg5!? Äußerst heiß! Fischer kann den Springer nicht schlagen, denn nach 15... hxg5 16. Dh7+ Kf8 (auf Kf7 kommt natürlich Lg6+) 17. h6 könnte er bereits aufgeben; er würde die Figur in hoffnungsloser Stellung zurückverlieren. d5 Mit diesem Zug führt Fischer die Strategie fort, die er bereits mit 10... c5 und 11... cxd4 begonnen hat: einem Flügelangriff ist am besten mit einem Gegenschlag im Zentrum zu begegnen. Das ansonsten wünschenswerte 15... Lf5 würde momentan noch an Dxb7 scheitern. Der Textzug zwingt die weiße Dame zu einer Erklärung. Außerdem - obwohl schwer zu glauben ist, dass Fischer in diesem Moment schon vorhergesehen haben könnte, dass dies einmal von Bedeutung sein würde - macht der Bauernzug die dritte Reihe (von Schwarz aus gesehen) für den Turm frei. 16. Dh7+ Kf8 17. O-O-O Sc6 Schwarz interesiert sich natürlich nicht für den f- Bauern (nach 17... Txf2 18. Thf1 ginge er auf der f- Linie schnell kaputt), sondern aktiviert schnell seine Figuren, um seine Zentrumskontrolle zu verstärken. 18. f4 Verhindert Se5 und bietet wieder den f-Bauern an, um (bei Annahme) die f-Linie entscheidend zu öffnen. Sb4 19. a3 Auf g6 würde der Läufer nur die weiße Dame abschneiden. Außerdem hing a2. Sxd3+ 20. Dxd3 Immerhin ist sie aus dem Exil zurückgekehrt. xg5! Bisher war dieser Springer immer wegen h6 tabu gewesen. Aber jetzt hat sich die Lage entscheidend geändert, wie Fischer messerscharf erfasst hat. Dass der Zug jetzt möglich ist, beruht allerdings auf einer weit berechneten und verblüffenden taktischen Wendung. 21. h6 Lxh6! Kaum zu glauben, dass sich Schwarz dies erlauben kann. 22. xg5 Schwarz kann nicht wiedernehmen wegen Th8+ mit Damengewinn. Lf5 Das Einzige. 23. Txh6 Auf diesen Zug mit der Gegendrohung Th8+ hatte sich Weiß verlassen. Womöglich glaubte er jetzt zu gewinnen. Lxd3 24. Th8+ Kg7 25. Txd8 Natürlich nicht gxf6+?? Kxh8. Aber jetzt hängen alle drei schwarzen Figuren! Tc6!! Eine verblüffende Ressource, die Schwarz bei seinem 20. Zug (als er den Springer g5 nahm) aber schon gesehen haben musste. Ohne 15... d5! wäre diese Turmschwenkung allerdings jetzt nicht möglich gewesen. Jetzt wird meine dortige diesbezügliche Anmerkung hoffentlich verständlich. 26. Txa8 Weiß bleibt natürlich keine Wahl. Jeder andere Turmzug würde durch die folgende 'Zwickmühle' den Turm verlieren. So hat Weiß temporär einen Mehrturm, den er dann 'nur' zurückverliert. Txc2+ 27. Kb1 Txd2+ Die bekannte 'Zwickmühle'. Möglich war auch das sofortige Tc8+, ebenfalls mit gewonnenem Endspiel. Aber wahrscheinlich wollte Fischer dem Gegner nicht den Springer und die damit stets verbundenen taktischen Schwindelchancen lassen. 28. Kc1 Tc2+ 29. Kb1 Tc8+ 30. Txd3 Txa8 31. Txd4 Td8 Die verbundenen Freibauern im Zentrum sind ein Gewinnmerkmal in diesem Turmendspiel. Fischers Gewinnmethode ist sehr instruktiv. 32. Kc2 Kg6 33. Tf4 Richtiger Weise klammert sich Weiß nicht an den Bauern, was seinen Turm zu totaler Passivität verdammen würde. So etwas kann man sich im Turmendspiel nicht leisten. Kxg5 34. Tf7 Td7 35. Kd3 Kg6 36. Tf8 Kg7 37. Ta8 b6 Dieser Deckungszug des a-Bauern ist besser als a6, was nach Kd4 dem weißen König eventuelle Einbruchsfelder überlassen würde. 38. Kd4 Kf6 39. Tf8+ Ke6 40. Tg8 Kd6 41. g4 Nichts brächte 41. Tg6+ e6, wonach der schwarze Turm auf einer der offenen Linien ins weiße Lager eindringen und nach Belieben den weißen König aus seiner Blockadestellung verdrängen würde. Weiß versucht jetzt statt dessen noch seinen eigenen Freibauern in die Waagschale zu werfen. e5+ 42. Kd3 Th7 Um bei Bedarf hinter den weißen Freibauern zu gelangen. 43. g5 Ke6 44. g6 Th3+ 45. Kc2 Th2+ 46. Kb3 Der König muss den b-Bauern gedeckt halten. Kc3 zu diesem Zweck wäre noch ungünstiger, wie sich gleich zeigt. Tg2 Jetzt steht der Turm richtig. 47. g7 Kf6 48. Td8 So schafft es Weiß wenigstens, einen der beiden verbundenen Freibauern gegen seinen eigenen zu tauschen. Mit einem weißen König auf c3 würde dieses Manöver jetzt nichts fruchten wegen d4+. Txg7 49. Txd5 Tc7 Aber Fischer schneidet den weißen König ab (ein Standardmotiv in Turmendspielen), wonach er auch den isolierten Freibauern ohne Mühe in die Zielgerade rollen lässt. 50. a4 e4 51. Th5 Natürlich versucht Weiß den schwarzen König am Nähertreten zu hindern - ebenfalls ein Standardmotiv in Turmendspielen. e3 Alleingang? 52. Th3 Te7 Nein. Jetzt kann Schwarz den weißen König wieder frei laufen lassen, denn er kommt sowieso zu spät. 53. Th1 e2 54. Te1 Die denkbar schlechteste Turmstellung in einem Turmendspiel! Kf5 Der finstere Rächer naht! 55. Kc3 Kf4 56. Kd2 Kf3 Die Annäherung des weißen Königs hat nicht viel gebracht. Jetzt droht Td7+ nebst Kf2, und Weiß muss den Turm für den Bauern geben. 57. Th1 Td7+ 58. Kc2 Mit Ke1 Td1 matt könnte Weiß das Leiden noch weiter abkürzen. Kg2 Und wegen Te1 Kf2 gab Weiß auf, da der schwarze Freibauer seinen Turm kostet.
patzer0815 - 07. Mär '14
Sehr schöne Partie. Die habe ich bisher auch nich nicht gekannt.
Vabanque - 07. Mär '14
Immer wieder erstaunlich, wer hier so alles mitliest :)
Wenn die Partie auch nur einem Leser gefällt, dann hat sich der ganze Aufwand schon gelohnt!
Aber so gut wie die ist, wird sie sicher auch noch ein paar anderen gefallen ...
Daran sieht man mal wieder, wie wenig der Bekanntheitsgrad einer Partie aussagt.
Wenn die Partie auch nur einem Leser gefällt, dann hat sich der ganze Aufwand schon gelohnt!
Aber so gut wie die ist, wird sie sicher auch noch ein paar anderen gefallen ...
Daran sieht man mal wieder, wie wenig der Bekanntheitsgrad einer Partie aussagt.
Beton - 07. Mär '14
Ich danke für diese mir unbekannte Partie. Vor allem, weil es mal nicht das typische 'Kanichen vor der Schlange" Geschiebe war.
Weiss hat hopp oder top gehandelt und Fisher zeigte Konterspiel. Eine Seite, die man wenig/ garnicht kennt.
Weiss hat hopp oder top gehandelt und Fisher zeigte Konterspiel. Eine Seite, die man wenig/ garnicht kennt.
Kellerdrache - 07. Mär '14
Eine solche Partie können nur wenige spielen. Nicht nur weil die Züge nicht so einfach zu finden sind, sondern weil man für so eine Verteidigung auch Nerven aus Stahl braucht oder eben fehlerlos rechnen kann.
Das Endspiel ist wirklich sehr schön!!
Das Endspiel ist wirklich sehr schön!!
Vabanque - 07. Mär '14
Ja, wenn der Gegner so einen Angriff hinlegt, dann muss man echt cool bleiben können und nüchtern durchrechnen. Wenn einem die Nerven einen Streich spielen (und das ist in solchen Stellungen meistens so), dann sieht man überall nur Drohungen und kann nicht mehr objektiv entscheiden, ob die Drohungen wirklich so schlimm sind oder ob es nicht doch einen Ausweg gibt. Da hilft es dann auch nichts, wenn man sagt: Der Angriff meines Gegners ist bestimmt unsolide, denn mir gehört ja das Zentrum, und ich habe auch sonst keinen Fehler gemacht. Man muss das dann auch nachweisen können, und das geht nur, wenn man cool bleibt UND exakt rechnet.
Vabanque - 07. Mär '14
Mit 'Kaninchen vor der Schlange' meinst du wohl, dass in den meisten bekannten Partien Fischers seine Überlegenheit von Anfang an klar und der Gegner nur gestrampelt hat statt wirklich zum Spiel zu kommen?
pirc_ - 07. Mär '14
wie immer sehr schön Vabanque, danke dir...aber mal ne bescheidene frage zu zug 17 0-0-0...warum nicht Sf3..seh ich blinder da wieder was nicht?...lange Rochade kann man doch dann immer noch spielen, oder? und der Springer würde dann später nicht geschlagen...
übrigens der fischer gegen den ich gewann hiess gar nicht Robert James...muss wohl ein anderer gewesen sein ;-)
übrigens der fischer gegen den ich gewann hiess gar nicht Robert James...muss wohl ein anderer gewesen sein ;-)
Vabanque - 07. Mär '14
Ja, gegen 17. Sf3 wäre wahrscheinlich so gesehen nichts einzuwenden, außer dass es halt ein Rückzug ist und Weiß kein Tempo verlieren wollte, sondern seine Figuren alle so schnell wie möglich ins Spiel bringen. Aber es kann gut sein, dass du Recht hast, und 17. 0-0-0 der Punkt ist, wo die Partie kippt. Da müsste man viel genauer und sehr gründlich analyisieren. Aber zu dem Zeitpunkt wo Weiß 0-0-0 spielte, konnte der Springer ja immer noch nicht geschlagen werden, also ist es nur plausibel, dass Weiß ihn nicht zurückzog, sondern stattdessen seine Entwicklung beschleunigte. Und dann hat Weiß irgendwann den richtigen Moment zum Rückzug verpasst, oder es ging tatsächlich nicht mehr, weil der schwarze Gegenschlag im Zentrum schon zu stark gewesen wäre.
KroMax - 07. Mär '14
Super Vabanque. Danke schön.
Grüße
Grüße