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Spannende Remispartien (V): Diesmal in nur 17 Zügen!

Vabanque - 26. Dez '24
Ganz kürzlich erst bin ich auf dieses interessante Kurzremis gestoßen, das kurioserweise 1952 gleich doppelt vorkam, einmal in der polnischen Meisterschaft, und einmal (mit einer geringfügigen Abweichung) in einem Turnier in Argentinien. Nun konnte ich nicht herausfinden, welche der beiden Partien früher gespielt wurde, aber es würde mich wundern, wenn in den damaligen Tagen die Kommunikation zwischen Lateinamerika und Osteuropa so gut geklappt hätte, dass die Spieler der einen Partie von der vorher gespielten fast identischen Partie Kenntnis gehabt hätten. Also kann man wohl eher von einem zufälligen Partie-Zwilling ausgehen. Eventuell besteht auch ein früheres, mir nicht bekanntes gemeinsames Vorbild, dem die Spieler da jeweils folgten. Aber auch in diesem Fall wäre es erstaunlich, dass diese noch frühere Partie (oder Analyse) sowohl den Polen wie auch den Argentiniern bekannt war, und dass beide im gleichen Jahr die gleiche Variante zur Anwendung bringen konnten. Die Angelegenheit bleibt in jedem Fall mysteriös.
Interessant ist allerdings auch der von mir in den Anmerkungen zum 12. Zug von Schwarz erwähnte Versuch aus dem Jahre 2005, mit einer Wiederholung dieser alten Partie gegen einen deutlich stärkeren Kontrahenten ein Remis zu erzielen. Ein GM wich da mit Schwarz dem Remis nämlich mit einem objektiv schwächeren Zug aus - und gewann!

Litmanowicz, Wladyslaw Grynfeld, Izaak POL-ch10 | Katowice | 11 | 1952.10.18 | C56 | 1/2-1/2
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lc4 Lc5 4. O-O Sf6 Diese viel gespielten Eröffnungszüge führen nun üblicherweise nach 5. d3 zu einer ruhigen Partie. 5. d4!? Aber dieses Gambit bringt mehr Pep rein. xd4 Die anderen beiden Möglichkeiten, den Bauern zu schlagen, führen ebenfalls zu interessantem und lebhaftem Spiel. 6. e5 d5 7. xf6
Mit 7. Lb5 Se4 8. Sxd4 könnte Weiß den komplizierten Verwicklungen ausweichen, würde damit aber nur Ausgleich erzielen.
xc4 Wie haben jetzt die Grundstellung des sogenannten Max Lange-Angriffs erreicht, in dem Weiß seinem Gegner eine zentrale Übermacht überlässt, um dafür einen schnellen Überfall am Königsflügel zu starten. 8. xg7
Häufiger wird hier 8. Te1+ gespielt, aber der Textzug dürfte in etwa gleichwertig sein.
Tg8 9. Lg5
Oder auch hier 9. Te1+ .
f6
Ob der Textzug oder Le7 besser ist, ist schwer zu entscheiden.
Le7 10. Lxe7 Kxe7 (um d4 gedeckt zu halten) 11. Te1+ Le6 (die Engine möchte stattdessen tatsächlich Kf6 spielen, aber welcher menschliche Spieler wird sich gerne darauf einlassen?)
10. Te1+ Kf7 11. Se5+!?
11. Lh6 kommt ebenfalls in Frage.
Sxe5 Erzwungen.
Denn Kxg7?? 12. Lh6+! führt zum Damenverlust oder Matt.
12. Txe5 Le7
In der erwähnten argentischen Partie aus dem gleichen Jahr geschah Ld6 mit demselben Remisschluss.
In einer Partie Slingerlang - Turov 2005 wich der russische GM mit Schwarz mit xg5?! 13. Txc5 Le6 in riskanter Weise dem Remis aus. Nach den weiteren Zügen 14. Dh5+ Kxg7 15. Txg5+ Kh8 16. Txg8+ Kxg8! (das einzige!) stand der schwarze König plötzlich sicher. Anstatt nun mit Sd2 für die Beendigung der Entwicklung zu sorgen, spielte Weiß 17. De5?! Dd5 18. Dxd5? Lxd5 und verlor das Endspiel. So war der Versuch, mit einer vermutlich vorbereiteten Variante gegen einen GM ein Remis zu erzielen, drastisch gescheitert.
13. Dh5+ Kxg7 14. Dh6+ Kf7
Auf Kh8?? käme 15. Txe7! mit Mattdrohung auf h7, so dass Dxe7 16. Lxf6+ mit Damengewinn erzwungen wäre.
15. Dxh7+ Tg7
Kf8?? 16. Lh6+
16. Dh5+ Tg6
Auf Kg8?! , um den weißen Schachs zu entrinnen, käme 17. Lxf6! Lg4! Noch eine schlaue Ausrede.
Lxf6?? 18. Te8+ und Damengewinn
18. Lxe7 Dxe7 19. Txe7 Lxh5 20. Te1 mit weißem Mehrbauer.
Kf8 wiederum führt ebenfalls zum Remis: 17. Dh8+ Kf7
Tg8?? 18. Lh6+ Kf7 19. Dh7+
18. Dh5+
17. Dh7+ Tg7 und die beiderseitige Zugwiederholung ist erzwungen.
PGN anzeigen[Event "POL-ch10"]
[Site "Katowice"]
[Date "1952.10.18"]
[Round "11"]
[White "Litmanowicz, Wladyslaw"]
[Black "Grynfeld, Izaak"]
[Result "1/2-1/2"]
[ECO "C56"]

1. e4 e5 2. Nf3 Nc6 3. Bc4 Bc5 4. O-O Nf6 {Diese viel gespielten Eröffnungszüge
führen nun üblicherweise nach 5. d3 zu einer ruhigen Partie.} 5. d4 $5 {Aber
dieses Gambit bringt mehr Pep rein.} 5... exd4 {Die anderen beiden
Möglichkeiten, den Bauern zu schlagen, führen ebenfalls zu interessantem und
lebhaftem Spiel.} 6. e5 d5 7. exf6 ( {Mit} 7. Bb5 Ne4 8. Nxd4 {könnte Weiß den
komplizierten Verwicklungen ausweichen, würde damit aber nur Ausgleich
erzielen.} ) 7... dxc4 {Wie haben jetzt die Grundstellung des sogenannten Max
Lange-Angriffs erreicht, in dem Weiß seinem Gegner eine zentrale Übermacht
überlässt, um dafür einen schnellen Überfall am Königsflügel zu starten.} 8.
fxg7 ( {Häufiger wird hier} 8. Re1+ {gespielt, aber der Textzug dürfte in etwa
gleichwertig sein.} ) 8... Rg8 9. Bg5 ( {Oder auch hier} 9. Re1+ {.} ) 9... f6
( {Ob der Textzug oder} 9... Be7 {besser ist, ist schwer zu entscheiden.} ) (
9... Be7 10. Bxe7 Kxe7 {(um d4 gedeckt zu halten)} 11. Re1+ Be6 {(die Engine
möchte stattdessen tatsächlich Kf6 spielen, aber welcher menschliche Spieler wird sich gerne darauf
einlassen?)} ) 10. Re1+ Kf7 11. Ne5+ $5 (11. Bh6 {kommt ebenfalls in Frage.} )
11... Nxe5 {Erzwungen.} ( {Denn} 11... Kxg7 $4 12. Bh6+ $1 {führt zum
Damenverlust oder Matt.} ) 12. Rxe5 Be7 ( {In der erwähnten argentischen Partie
aus dem gleichen Jahr geschah} 12... Bd6 {mit demselben Remisschluss.} ) ( {In
einer Partie Slingerlang - Turov 2005 wich der russische GM mit Schwarz mit}
12... fxg5 $6 13. Rxc5 Be6 {in riskanter Weise dem Remis aus. Nach den weiteren
Zügen} 14. Qh5+ Kxg7 15. Rxg5+ Kh8 16. Rxg8+ Kxg8 $1 {(das einzige!) stand der
schwarze König plötzlich sicher. Anstatt nun mit Sd2 für die Beendigung der
Entwicklung zu sorgen, spielte Weiß} 17. Qe5 $6 Qd5 18. Qxd5 $2 Bxd5 {und
verlor das Endspiel. So war der Versuch, mit einer vermutlich vorbereiteten
Variante gegen einen GM ein Remis zu erzielen, drastisch gescheitert.} ) 13.
Qh5+ Kxg7 14. Qh6+ Kf7 ( {Auf} 14... Kh8 $4 {käme} 15. Rxe7 $1 {mit Mattdrohung
auf h7, so dass} 15... Qxe7 16. Bxf6+ {mit Damengewinn erzwungen wäre.} ) 15.
Qxh7+ Rg7 (15... Kf8 $4 16. Bh6+) 16. Qh5+ Rg6 ( {Auf} 16... Kg8 $6 {, um den
weißen Schachs zu entrinnen, käme} 17. Bxf6 $1 Bg4 $1 {Noch eine schlaue
Ausrede.} (17... Bxf6 $4 18. Re8+ {und Damengewinn} ) 18. Bxe7 Qxe7 19. Rxe7
Bxh5 20. Re1 {mit weißem Mehrbauer.} ) (16... Kf8 {wiederum führt ebenfalls
zum Remis:} 17. Qh8+ Kf7 (17... Rg8 $4 18. Bh6+ Kf7 19. Qh7+) 18. Qh5+) 17.
Qh7+ Rg7 {und die beiderseitige Zugwiederholung ist erzwungen.} 1/2-1/2
Alapin2 - 02. Jan '25
Ein "Muss" für jeden schwarzen Italiener !!!
Vabanque - 02. Jan '25
Üblicherweise bzw. häufiger entsteht die Eröffnungsvariante obiger Partie ja mit Zugumstellung aus dem Zweispringerspiel:

1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lc4 Sf6 4. d4 exd4 5. 0-0 Lc5 6. e5.
Alapin2 - 03. Jan '25
...was auch sinnvoller ist...,denn in der o.a.Zugfolge kann Schwarz dem Max-Lange-Angriff mit 4)...d6 ausweichen.
Z.B. : 5) d4 ed4: 6) c3 Lg4 (!),mit gutem Spiel für Schwarz.
Vabanque - 03. Jan '25
Du meinst 1. e4 e5 2. Sf6 Sc6 3. Lc4 Lc5 4. 0-0 d6, nehme ich an.

Andererseits kann Weiß statt der Rochade schärfer gleich 4. c3 spielen.
Vabanque - 03. Jan '25
Eigentlich hatte ich ja mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit erwartet, dass SF Oli1970 aufschlussreiche Recherchen posten würde, dass er vielleicht herausbringen würde, ob nun die 'polnische' oder die 'argentinische' Partie früher gespielt wurde (und was das für ein argentinisches Turnier gewesen ist), und dass er frühere Vorbilder zu dieser Partie finden würde.
Ich hatte ebenfalls erwartet, dass SF schach2018 den Verdacht äußern würde, diese Partie sei bestimmt vorher abgesprochen gewesen😉
schach2018 - 03. Jan '25 Edited
>>(...) Nun konnte ich nicht herausfinden, welche der beiden Partien früher gespielt wurde, aber es würde mich wundern, wenn in den damaligen Tagen die Kommunikation zwischen Lateinamerika und Osteuropa so gut geklappt hätte, dass die Spieler der einen Partie von der vorher gespielten fast identischen Partie Kenntnis gehabt hätten. Also kann man wohl eher von einem zufälligen Partie-Zwilling ausgehen. <<

Man kann Morse-Signale abschicken. 😉🤣

PS: Danke für die Vorstellung dieser Remis - Partie!
Oli1970 - 03. Jan '25 Edited
Katowice war früher, die 10. Pol. Meisterschaft lief vom 04.10.1952 - 02.11.1952.
Buenos Aires lief vom vom 11.11.1952 - 09.12.1952, war das Torneo Mayor de FADA.
Eine Vorgänger-Partie habe ich nicht gefunden, die Neuerung war wohl schon 9...f6.

Zur Partie: Das Remis war ziemlich forciert, da Schwarz zunächst immer nur ein Zug blieb, um einem Schachgebot auszuweichen und seinen Le7 zu schützen und Weiß am Ende aufgrund der Gabel des Bf6 keine andere Wahl mehr hatte als Dauerschach zu geben. Eine Stellungswiederholung war erzwungen. Spannender als die Partie war die Kommentierung mit dem Einblick in die Varianten und Vergleichspartien und die ungeklärte Frage, ob Zufall oder Berichterstattung zum Zwilling führte. :-)

Noch ein Nachtrag: Izaak Grynfeld hat 1954 oder 1955 "umfirmiert" - er änderte seinen Namen auf Ignacy Branicki.
Vabanque - 03. Jan '25 Edited
>>Noch ein Nachtrag: Izaak Grynfeld hat 1954 oder 1955 "umfirmiert" - er änderte seinen Namen auf Ignacy Branicki.<<

Ja, das habe ich auch festgestellt, indem ich die Polnische Meisterschaft (in der diese Partie gespielt wurde) in zwei Quellen mit zwei scheinbar unterschiedlichen Spielern gefunden habe, die sich jedoch als identisch erwiesen👍

>>Spannender als die Partie war die Kommentierung<<

Soso😉. Ich war froh, mal eine recht einfache (und doch keineswegs banale) Remispartie gefunden zu haben. Ich habe schon noch so einige in petto, die sind aber größtenteils echt kompliziert. Da weiß ich nicht, ob ich der Kommentierung überhaupt gewachsen bin🤔

>>Buenos Aires lief vom vom 11.11.1952 - 09.12.1952, war das Torneo Mayor de FADA.
Eine Vorgänger-Partie habe ich nicht gefunden, die Neuerung war wohl schon 9...f6.<<

Ah danke💪
Alapin2 - 03. Jan '25 Edited
Fernschreiber !! (bezieht sich auf den Schriftverkehr 1952 zwischen Argentinien u.Polen)
In Deutschland (mehr oder weniger flächendeckend, kennt man ja heute auch, das flächendeckende😅)seit 1938.
Erstes Transatlantikkabel (Telefon) irgendwann seit 1880,oder so.
Waterloo 1815 : Große Börsengewinne in London,weil ein gewisser Herr Reuter (heute Agentur Reuter's) per Brieftauben die Siegesmeldung über Napoleon als Erster über den Kanal schickte.
Leipzig 1813 : Napoleon musste danach vor den verbündeten Preußen+Russen Richtung Rhein fliehen.Dort gab es Signaltürme, die seine Nachrichten und Instruktionen per Lichtzeichen weiterleiteten.
P.S.: Steinitz,irgendwann Ende des 19.Jahrhunderts im amerikanischen Exil, hatte Probleme mit dem Geheimdienst: Er bekam dauernd komische Telegramme aus dem Russischen Reich von einem gewissen Tschigorin.Chiffriert mit komischen Zeichen wie "e4 e5 Sf3 Sc6" usw.
Vorsichtshalber nahm der Sheriff ihn erstmal wegen Spionageverdacht fest.
....bis der Irrtum aufgeklärt wurde...
Also : Gegeben hat es Information rund um den Globus schon etwas länger.
Vabanque - 03. Jan '25
>>Also : Gegeben hat es Information rund um den Globus schon etwas länger.<<

Es bleibt halt trotzdem die Frage offen, ob sie in diesem konkreten Fall der 'doppelten' Partie auch geschah.
schach2018 - 03. Jan '25 Edited
Alapin2 - 03. Jan '25
Im Übrigen : Fällt mir gerade ein, nachdem ich Schach2018s link überflogen habe :
"Flaggenzeichen" auf Schiffen gibt es auch....und schon ganz lange.
Allerdings wohl nicht für Schachpartien...,obwohl : Kapitän Evans, der Erfinder des nach ihm benannten Gambits!?...Wer weiß ?😂
Vabanque - 03. Jan '25
>>Kapitän Evans, der Erfinder des nach ihm benannten Gambits<<

Ja, ich weiß, dass das ein Kapitän war ... allerdings habe ich noch nie eine Partie von ihm selbst gesehen ... ich könnte aber mal meine Reihe über das Evans-Gambit fortsetzen.