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Glanzvolle Remis II

Kellerdrache - 22. Jul '15
Die Partie zwischen Fischer und Tal ist nur 21 Züge lang, aber trotzdem kein geschobenes Salon-Remis. Fischer kommt eigentlich überlegen aus der Eröffnung, unterschätzt aber Tals Gegenspiel und wählt nur den zweitbesten Zug. Gegen seinen Gegner, der zu dieser Zeit noch Weltmeister war nicht gut genug.
Mein Kommentar enthält ein paar von Fischer angegebene Varianten. Ich hoffe, ihr könnt alles im Kopf nachvollziehen, da der verbesserte pgn-Player noch nicht gebrauchsfertig ist.

Fischer, Robert James Tal, Mihail Olympiade | Leipzig | 1960 | C17 | 1/2-1/2
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. e4 e6 2. d4 d5 3. Sc3 Lb4 4. e5 c5 5. a3 La5 wird auch heute immer noch gespielt, obwohl es nie einen sehr guten Ruf hatte. Nach b4 muß Schwarz sich entscheiden ob er mit ...cxd4 das Zentrum schwächen oder mit cxb4 einen Bauern am Damenflügel gewinnen will. 6. b4 xd4 6... cxb4 7. Nb5 bxa3+ 8. c3 Der Bauer auf a3 fällt und es droht Sd6+. Der Läufer von c1 würde nach Lxa3 sehr stark. Auch die weiße Dame könnte z.B. über b3 oder a4 ins Spieleingreifen . Mehrbauer oder nicht, ich würde mich als Schwarzer hier nicht wohlfühlen. 7. Dg4 Se7 Schlägt man direkt auf c3, ginge nach 8.Dxg7 im nächsten Zug der Turm verloren. 7...Kf8 ist nicht so gut. Nicht nur gibt man sein Rochaderecht her, sondern nach z.B. 8.bxa5 dxc3 9. a4 und danach La3 hat Weiß einen netten Angriff 8. xa5 xc3 9. Dxg7 Tg8 10. Dxh7 Jeder der häufiger Französisch spielt kennt die wilden Varianten nach Dg4. Man gibt einen oder zwei Bauern her, läßt oft auch den eigenen König in der Mitte warten um mit Hilfe der offenen Linien am Königsflügel anzugreifen. Sbc6 11. Sf3 Dc7 12. Lb5 Die letzten Züge drehten sich alle um den wichtigen Bauern auf e5. Tals nächster Zug hebt die Fesselung des Sc6 auf und ermöglicht die lange Rochade. Ld7 Wieso eigentlich nicht 12... Rxg2 ? Das gewinnt doch einen Bauern, oder? Ja, das tut es. Aber Fischers angegebene Variante 13. Kf1 Rg8 14. Rg1 Rxg1+ 15. Kxg1 zeigt wo das Problem liegt. Zu Ld7 kommt man nicht mehr, weil dann Dh8 mit Matt folgen würde. Der weiße h-Bauer kann aber mit einem phantasielosen Vormarsch die Partie quasi alleine gewinnen. 13. O-O O-O-O 14. Lg5 Was ist die Idee dieses Zugs ? Es sieht doch so aus als könne Tal sich jetzt den lästigen Bauern auf e5 schnappen. Ich werde Fischers Idee ein paar Züge später erläutern. Hier soll nur erwähnt sein, dass er 14....Sxe5 nicht als ernsthafte Fortsetzung auf dem Plan hatte. Hinterher hielt Fischer 14. Bxc6 für die bessere Fortsetzung. Bxc6 15. Qxf7 d4 16. Qxe6+ Bd7 17. Qxe7 Rxg2+ 18. Kxg2 Bh3+ 19. Kxh3 Qxe7 20. Bg5 Sxe5 15. Sxe5 Ursprünglich hatte Fischer sich den weiteren Verlauf so vorgestellt. 15. Bxd7+ Rxd7 16. Nxe5 Qxe5 17. Bxe7 und Tal kann nicht auf e7 wieder nehmen, da der Turm auf g8 auch hängt. Dann aber sah er Rh8 Turm und Dame schielen auch auf h2 sodaß die weiße Königin nicht ziehn kann. Es könntez.B. folgen... 18. Rfe1 Rxh7 19. Rxe5 Rxe7 und das schöne schwarze Zentrum ist mindestens ein Remis wert Lxb5 Statt mit 15...Dxe5 die Vereinfachung zu suchen spielt Tal auf Gewinn. Nach 15... Qxe5 könnte es etwa so weitergehn 16. Bxe7 Rh8 17. Rfe1 Qxe1+ 18. Rxe1 Rxh7 19. Bxd8 Kxd8 20. Bxd7 Kxd7 21. Re3 15...Txg5 geht übrigens nicht wegen der Springergabel nach Sxf7 16. Sxf7 Eine andere Möglichkeit wäre hier 16. Lxe7 Dxe7 17. Tfe1 gewesen. Lxf1 17. Sxd8 Jeder holt sich eine Qualität. Auf g5 hängt jetzt ein Läufer. Hat Fischer sich so grob verzählt ? Txg5 18. Sxe6 Doch nicht verzählt ! Weiß bekommt ja mindestens die Qualität auf g5 und der Lf1 hängt ja auch noch. Bleibt Weiß also am Ende mit einer Qualität mehr ? Wie vermeidet man als Schwarzer den Verlust ? Txg2+ Der Turm ist ja gedeckt. Der Läufer auf f1 allerdings nicht. 19. Kh1 Wieso nicht 19. Kxf1 ? Mit fast leerem Magazin wird noch ein Angriff gezaubert Rxh2 20. Qf7 Der vermeintliche Tausch mit 20.Sxc7 Txh7 verliert eine Figur, weil Fischer den Springer wegen der primitiven Drohung 21...Th1+ nicht in Sicherheit bringen kann20... Rh1+ und es wird sehr eng 21. Ke2 Qe5+ 22. Kd3 Rh3+ 23. f3 Qe4+ 24. Kxc3 Rxf3+ De5 20. Txf1 Dxe6 21. Kxg2 Dg4+ Mit Dauerschach !
PGN anzeigen
[Event "Olympiade"]
[Site "Leipzig"]
[Date "1960.??.??"]
[White "Fischer, Robert James"]
[Black "Tal, Mihail"]
[Result "1/2-1/2"]
[ECO "C17"]
[PlyCount "42"]
[EventDate "1960.??.??"]

1. e4 e6 2. d4 d5 3. Nc3 Bb4 4. e5 c5 5. a3 Ba5 {wird auch heute immer noch
gespielt, obwohl es nie einen sehr guten Ruf hatte. Nach b4 muß Schwarz sich
entscheiden ob er mit ...cxd4 das Zentrum schwächen oder mit cxb4 einen Bauern
am Damenflügel gewinnen will.} 6. b4 cxd4 {6... cxb4 7. Nb5 bxa3+ 8. c3
Der Bauer auf a3 fällt und es droht Sd6+. Der Läufer von c1 würde nach Lxa3
sehr stark. Auch die weiße Dame könnte z.B. über b3 oder a4 ins Spieleingreifen
. Mehrbauer oder nicht, ich würde mich als Schwarzer hier nicht wohlfühlen.}
7. Qg4 Ne7 {Schlägt man direkt auf c3, ginge nach 8.Dxg7 im nächsten Zug der
Turm verloren. 7...Kf8 ist nicht so gut. Nicht nur gibt man sein Rochaderecht
her, sondern nach z.B. 8.bxa5 dxc3 9. a4 und danach La3 hat Weiß einen netten
Angriff} 8. bxa5 dxc3 9. Qxg7 Rg8 10. Qxh7 {Jeder der häufiger Französisch
spielt kennt die wilden Varianten nach Dg4. Man gibt einen oder zwei Bauern
her, läßt oft auch den eigenen König in der Mitte warten um mit Hilfe der
offenen Linien am Königsflügel anzugreifen.} Nbc6 11. Nf3 Qc7 12. Bb5 {
Die letzten Züge drehten sich alle um den wichtigen Bauern auf e5. Tals
nächster Zug hebt die Fesselung des Sc6 auf und ermöglicht die lange Rochade.}
Bd7 {Wieso eigentlich nicht 12... Rxg2 ? Das gewinnt doch einen Bauern,
oder? Ja, das tut es. Aber Fischers angegebene Variante 13. Kf1 Rg8 14. Rg1
Rxg1+ 15. Kxg1 zeigt wo das Problem liegt. Zu Ld7 kommt man nicht mehr, weil
dann Dh8 mit Matt folgen würde. Der weiße h-Bauer kann aber mit einem
phantasielosen Vormarsch die Partie quasi alleine gewinnen.} 13. O-O O-O-O 14.
Bg5 {Was ist die Idee dieses Zugs ? Es sieht doch so aus als könne Tal sich
jetzt den lästigen Bauern auf e5 schnappen. Ich werde Fischers Idee ein paar
Züge später erläutern. Hier soll nur erwähnt sein, dass er 14....Sxe5 nicht
als ernsthafte Fortsetzung auf dem Plan hatte. Hinterher hielt Fischer 14.
Bxc6 für die bessere Fortsetzung. Bxc6 15. Qxf7 d4 16. Qxe6+ Bd7 17. Qxe7
Rxg2+ 18. Kxg2 Bh3+ 19. Kxh3 Qxe7 20. Bg5} Nxe5 15. Nxe5 {
Ursprünglich hatte Fischer sich den weiteren Verlauf so vorgestellt. 15. Bxd7+
Rxd7 16. Nxe5 Qxe5 17. Bxe7 und Tal kann nicht auf e7 wieder nehmen, da der
Turm auf g8 auch hängt. Dann aber sah er Rh8 Turm und Dame schielen auch auf
h2 sodaß die weiße Königin nicht ziehn kann. Es könntez.B. folgen... 18. Rfe1
Rxh7 19. Rxe5 Rxe7
und das schöne schwarze Zentrum ist mindestens ein Remis wert} Bxb5 {
Statt mit 15...Dxe5 die Vereinfachung zu suchen spielt Tal auf Gewinn. Nach
15... Qxe5 könnte es etwa so weitergehn 16. Bxe7 Rh8 17. Rfe1 Qxe1+ 18. Rxe1
Rxh7 19. Bxd8 Kxd8 20. Bxd7 Kxd7 21. Re3
15...Txg5 geht übrigens nicht wegen der Springergabel nach Sxf7} 16. Nxf7 {
Eine andere Möglichkeit wäre hier 16. Lxe7 Dxe7 17. Tfe1 gewesen.} Bxf1 17.
Nxd8 {Jeder holt sich eine Qualität. Auf g5 hängt jetzt ein Läufer. Hat
Fischer sich so grob verzählt ?} Rxg5 18. Nxe6 {Doch nicht verzählt ! Weiß
bekommt ja mindestens die Qualität auf g5 und der Lf1 hängt ja auch noch.
Bleibt Weiß also am Ende mit einer Qualität mehr ? Wie vermeidet man als
Schwarzer den Verlust ?} Rxg2+ {
Der Turm ist ja gedeckt. Der Läufer auf f1 allerdings nicht.} 19. Kh1 {
Wieso nicht 19. Kxf1
? Mit fast leerem Magazin wird noch ein Angriff gezaubert Rxh2 20. Qf7
Der vermeintliche Tausch mit 20.Sxc7 Txh7 verliert eine Figur, weil Fischer
den Springer wegen der primitiven Drohung 21...Th1+ nicht in Sicherheit
bringen kann20... Rh1+ und es wird sehr eng 21. Ke2 Qe5+ 22. Kd3 Rh3+ 23. f3 Qe4+
24. Kxc3 Rxf3+} Qe5 20. Rxf1 Qxe6 21. Kxg2 Qg4+ {Mit Dauerschach !}
1/2-1/2
cutter - 23. Jul '15
Danke. Eine schöne Partie
Vabanque - 23. Jul '15
Lange haben wir auf Teil 2 warten müssen; danke für die Fortsetzung der Serie!

Ich erinnere mich an diese Partie, hatte sie mir vor vielen Jahren mal angesehen. Besonders gefallen hatte sie mir aber nicht, und ich denke, ich weiß jetzt auch warum: Diese komplizieren Schlagfälle bzw. Tauschgeschäfte, die ab dem 14. Zug beginnen, verwirren meinen allzu beschränkten Geist :)
Ich wäre nie in der Lage gewesen, dies alles zu berechnen, nicht mal im Fernschach, geschweige denn am Brett. Und selbst so etwas nachzuvollziehen, fällt mir schwer. Wie viele all dieser Möglichkeiten haben die Spieler selbst gesehen? Oder vertrauten sie zum Teil auf ihre Intuition?

An einen Kommentar, den ich damals las, erinnere ich mich jedoch noch genau, und zwar betrifft es den 13. Zug von Schwarz, den du bemerkenswerterweise unkommentiert gelassen hast (oder hat der pgn-Viewer wieder mal den Kommentar geschluckt?). Und zwar ging es um die Frage, warum Schwarz (statt lang zu rochieren) denn nicht den Bauern auf e5 schlägt. War dieser vergiftet? Freilich, er müsste dazu die Rochade aufgeben (13... Sxe5 14. Sxe5 Dxe5 15. Lxd7+). Ob Schwarz dies hätte wagen sollen, darüber konnten sich damals die Kommentatoren Keres und Flohr nicht einig werden.

Und dann noch eine Bemerkung zu der Eröffnung: Ich war lange Zeit Französisch-Spieler und habe gerne die Varianten mit dem doppelnten Bauernopfer auf g7 und h7 gespielt. Leider hat sich kaum ein Weiß-Spieler darauf eingelassen. Und heute spielt anscheinend fast jeder 1. e4 e6 2. d4 d5 3. e5, war als Schwarzer überhaupt keinen Spaß macht, weswegen ich Französisch so gut wie aufgegeben habe.
Allerdings hatte ich dazumal nur selten 5... La5 probiert, es galt ja als schlecht, wie in meinen Eröffnungsbüchern nachzulesen war. Überraschenderweise schreibst du, dass dieser Zug immer noch gespielt wird. Wenn man die obige Partie zu Grunde legt, so sieht man keine Widerlegung mit Weiß. Aber wahrscheinlich gibt es Verstärkungen für Weiß. Die ganze Variante war 1960 wohl noch in den Kinderschuhen, und Partien wie diese bildeten die Grundlage für die Weiterentwicklung der Eröffnungstheorie.
Kellerdrache - 23. Jul '15
Wenn ich schreibe "sie wird immer noch gespielt" so muß ich ergänzen "wenn auch nicht in Großmeisterkreisen. Als e4-Spieler habe ich sie schon ein paar Mal auf dem Brett gehabt. Mein Schnitt dagegen unterscheidet sich nicht besonders von dem gegen die klassischen Varianten (alles was nach Lxc3+ kommt). Rein subjektiv habe ich den Eindruck die Stellungen unterscheiden sich nicht so wesentlich, nur die weiße Bauernstruktur am Damenflügel sieht besser aus. Man hat all die Nachteile der "normalen" Variante ohne deren Vorteile. Das allein ist wahrscheinlich Grund genug die Herren GMs abzuschrecken. Aber das ist nur meine private Meinung und keine Eröffnungsanalyse.
Nein, den Kommentar zum 13.Zug hat der Viewer nicht geschluckt. ich gestehe zu meiner Schande, dass ich beim Nachspielen an 13...Sxe5 überhaupt nicht gedacht habe. Gefressen hat er aber meine Erläuterung zum 15. Zug von Weiß wo ich erklärt habe warum Fischer 14...Sxe5 erst nicht für spielbar hielt. Ich werde den Kommentar wohl noch nachreichen, weil sonst 14.Lg5 nicht so recht verständlich ist, finde ich.
Kellerdrache - 23. Jul '15
Als Kommentar zum 15. Zug von Weiß:
Fischer wollte hier ursprünglich mit 15.Lxd7+ fortsetzen. Die Variante, die er im Kopf hatte war 15...Txd7 16. Sxe5 Dxe5 17. Lxe7 mit Figurengewinn, da nach 17...Txe7 ja der Tg8 ungedeckt wäre.
Dann aber sah er 17...Th8 mit Angriff auf die Dame, die wegen der Drohung auf h2 nicht ziehen kann. Es könnte z.B. so weitergehen 18.Tae1 Txh7 19. Txe5 Txe7. Tal hätte seine Figur zurück und ein tolles Zentrum.
Vabanque - 23. Jul '15
Danke; ja, daran sieht man einmal mehr, wie kompliziert die Stellung ist, wenn sogar ein Fischer sich bei der Vorausberechnung irrte.