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Tal - Petrosian, 1974

Oli1970 - 19. Aug '23
In diesem Aufeinandertreffen der beiden (früheren) Weltmeister Tal und Petrosian erlebte Petrosian als Schwarzspieler eine seiner schnellsten Niederlagen. Er wurde regelrecht überfahren; erstaunlich, wie schnell Tal Vorteile sammelt und in einen vernichtenden Angriff umsetzt.
Das Spiel ist dennoch sehr instruktiv, da ziemlich simpel und geradlinig heruntergespielt. Taktik herrscht über Strategie, die einfachen Prinzipien Entwicklung, Tempo, Nutzung offener Linien und Entfernung der Verteidiger leiten durch das Spiel. Wir sehen, dass Entwicklung oberstes Gebot ist und wir sehen, wie deren Vernachlässigung in Tempoverlusten mündet. Somit hat der Weißspieler bereits genügend Vorteile gesammelt, um den finalen Angriff zu starten, kaum dass ein ordentliches Mittelspiel begonnen hätte. Zum 14. Zug sind bereits zwei offene Linien vorhanden, Tal kann sich diese sichern. Ein weiterer Fehler des Schwarzen ist das Zeichen zum Angriff, den Tal mit einem schönen Springeropfer einleitet.

Tal, Mikhail Petrosian, Tigran V 8th Soviet Team Cup | Moscow RUS | 5 | 1974.08.26 | B08 | 1:0
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. Sf3 Der Reti-Zug. g6 2. e4 Lg7 3. d4 d6 4. Sc3 Sf6 5. Le2 O-O 6. O-O Sc6 Häufiger wird c6 gespielt, der Springerzug folgt den bekannten goldenen Eröffnungsregeln. Der Gedanke ist, d5 zu fordern, wonach sich der Springer wieder auf sein Ausgangsfeld zurückzieht. Die lange Läuferdiagonale wird frei. 7. d5 Sb8 8. Te1 e5 Zwingt Weiß zur Entscheidung e. p. zu schlagen oder das Zentrum festzumauern. Schwarz hat e4 so oder so als Angriffsmarke im Auge. Sofern der Bauer stehen bliebe, könnte Schwarz Se8 nebst f5 ins Auge fassen und dem Turm die Linie öffnen. 9. de6 e. p. Lxe6 10. Lf4 h6 11. Sd4 Ld7 12. Dd2 Kh7 Überraschend wohl bereits als Fehler einzuordnen. Empfehlenswert war Sc6, um das Zentrum zu klären - Angriff auf Sd4 und Kontrolle des Feldes e5. 13. e5! Forciert dxe5, Springerzüge sind deutlich schlechter. xe5
Se8 14. Lf3 Sc6 15. Sxc6 Lxc6 16. Lxc6 xc6 17. Tad1 Mit Zerstörung des Damenflügels.
Sd5 14. Sxd5 xe5 Die Gabel wird den Springer zurückgewinnen. 15. Lg3 c6 16. Lf3 Fortsetzung des Angriffs, da beide Springer hängen! xd5 17. Lxe5 Sc6 18. Lxg7 Kxg7 19. Lxd5 Mit Mehrbauern und besserer Stellung.
Se4 14. Sxe4 xe5 15. Lxe5 Lxe5 16. Sf3 Lxb2 17. Tad1 De7 18. Lc4 Der Läufer macht den Weg für den Turm frei; es droht Seg5+ mit Damengewinn. Schwarz hat einen Mehrbauern, aber dafür ein verlorenes Spiel.
Sg4 14. xd6 xd6 15. Lxd6 Droht Lxf8, also Te8 16. Sdb5 Droht Sc7 mit Turmgewinn. Lxb5 17. Sxb5
Sg8 14. xd6 xd6 Weiß kann wie in der Vorvariante zu Lxd6 greifen oder mit Tad1 fortfahren. 15. Tad1 Sc6 16. Sdb5
Sh5 14. Lxh5 xh5 15. Dd3+ Kh8 16. xd6 xd6 Zu den vorherigen Varianten ist nun auch Sf5 interessant. 17. Sf5 Lxf5 18. Dxf5
14. Lxe5 Zwei offene Zentrumslinien. Se4? Petrosian hätte besser mit Sc6 oder Te8 seine Entwicklung vorangetrieben. Vermutlich sah er hier die Möglichkeit, Tal seines Läuferpaares zu berauben. Tatsächlich ist dieser Zug der Anfang vom Ende: Tal gewinnt ein Tempo und münzt dieses in fortwährende Drohungen um.
Sc6 Verliert zwar einen Bauern, wäre aber wohl das kleinere Übel gewesen. Festhalten an dem Bauern führt zu Passivität. 15. Sxc6 Lxc6 16. Dxd8 Txd8 17. Lxc7 Immerhin stünde Schwarz jetzt Td2 zur Verfügung und er könnte zumindest vorläufig die Initiative übernehmen.
15. Sxe4 Lxe5 16. Sf3 Sofort wird der Läufer befragt. Lg7 Der sofortige Rückzug ist als Tempoverlust zu bewerten. Weiß steht bereits deutlich besser entwickelt, so dass De7 zur Deckung des Läufers bei gleichzeitiger Aktivierung der Dame besser gewesen wäre.
Lxb2 Sogar schlechter als Lg7. Weiß kann einfach seinen Angriff aufbauen, die Musik spielt am Königsflügel. 17. Tad1 Der Bauernraub ist nur ein weiterer Tempoverlust, denn zurück muss er früher oder später ohnehin. Weiß kann mit den gespielten Zügen fortsetzen!
17. Tad1! Nun hat Tal beide Türme im Zentrum. Der Sb8 kann nicht weg, da sonst der Ld7 verloren geht. Dc8 Dame und Läufer sollen die Linie verlassen, das kostet zwei Tempi. 18. Lc4! Nicht nur, dass der Läufer ziehen muss, damit weitere Figuren ins Spiel kommen können, steht Petrosian bereits voll in Tals Angriffssturm! Le8
Le6 mit Angriff auf den Läufer geht nicht, da Tals Angriff kurzerhand den Läufer mitnimmt. Zunächst erfolgt analog zum Spiel 19. Seg5+ xg5 20. Sxg5+ Kg8 21. Txe6! Nach fxe6 kommt Lxe6+ mit Doppeldrohung gegen die Dame, nach anderen Zügen folgt der neuen Stellung entsprechend einfach De3 mit Blick nach g6 oder Txg6 (f7 ist gefesselt) oder Sxf7 (sofern dann Txf7 folgt Te7, da Tf7 nun gefesselt ist). xe6 22. Te1! Man muss nicht sofort zugreifen, das Feuer kann noch angefacht werden!
19. Seg5+! Springeropfer zum Auftakt des Finales! xg5
Kh8 Wohl besser als Petrosians Antwort. Aber objektiv ist Nehmen alternativlos, da Petrosian dem Angriff nichts entgegenzusetzen hat. Also kann er nur die Angreifer dezimieren. Gleiches täte nach Kh8 der Weißspieler. 20. Df4 Sc6 21. Sxf7+ Lxf7 22. Lxf7
20. Sxg5+ Kg8 Einzige sinnvolle Option, da Kh8 oder Kh6 zum Matt führen. 21. Df4 droht Dh4 nebst Dh7#. Sd7 Petrosian weiß, dass er verloren hat. Mit Df5 hätte er die Niederlage noch etwas verschleppen können. Das Manöver Dh4 nebst Dh7# scheitert jetzt allerdings an Sf6! 22. Txd7 Also weg mit dem potentiellen Verteidiger. Lxd7 Falls nun Dh4, dann öffnet Te8 dem König ein Fluchtfeld. Also muss ein besserer Plan her. 23. Lxf7+ Petrosian gibt angesichts der Drohungen auf.
23. Lxf7+ droht Kh8 24. Dh4+ nebst Dxh6#
23. Lxf7+ Txf7 24. Dxf7+ Kh8 25. Dxg6 droht Matt auf h7; auf Kg8 folgt Te7 nebst Dxg7#. Lf5 26. Sf7+ Kg8 27. Sh6+ Kh8 28. Sxf5 usw., das Matt ist nicht mehr abzuwenden.
PGN anzeigen
[Event "8th Soviet Team Cup"]
[Site "Moscow RUS"]
[Date "1974.08.26"]
[Round "5"]
[White "Tal, Mikhail"]
[Black "Petrosian, Tigran V"]
[Result "1-0"]
[WhiteElo "2635"]
[BlackElo "2640"]
[ECO "B08"]
[Opening "Pirc: Classical (Two Knights) System"]
[Annotator "Oli1970"]

1.Nf3
{Der Reti-Zug.}
1...g6 2.e4 Bg7 3.d4 d6 4.Nc3 Nf6 5.Be2 O-O 6.O-O Nc6
{Häufiger wird c6 gespielt, der Springerzug folgt den bekannten goldenen Eröffnungsregeln. Der Gedanke ist, d5 zu fordern, wonach sich der Springer wieder auf sein Ausgangsfeld zurückzieht. Die lange Läuferdiagonale wird frei. }
7.d5 Nb8 8.Re1 e5
{Zwingt Weiß zur Entscheidung e. p. zu schlagen oder das Zentrum festzumauern. Schwarz hat e4 so oder so als Angriffsmarke im Auge. Sofern der Bauer stehen bliebe, könnte Schwarz Se8 nebst f5 ins Auge fassen und dem Turm die Linie öffnen.}
9.dxe6
{e. p.}
9...Bxe6 10.Bf4 h6 11.Nd4 Bd7 12.Qd2 Kh7
{Überraschend wohl bereits als Fehler einzuordnen. Empfehlenswert war Sc6, um das Zentrum zu klären - Angriff auf Sd4 und Kontrolle des Feldes e5.}
13.e5 $1
{Forciert dxe5, Springerzüge sind deutlich schlechter.}
13...dxe5
( 13...Ne8 14.Bf3 Nc6 15.Nxc6 Bxc6 16.Bxc6 bxc6 17.Rad1 {Mit Zerstörung des Damenflügels.} )
( 13...Nd5 14.Nxd5 dxe5 {Die Gabel wird den Springer zurückgewinnen.} 15.Bg3 c6 16.Bf3 {Fortsetzung des Angriffs, da beide Springer hängen!} 16...cxd5 17.Bxe5 Nc6 18.Bxg7 Kxg7 19.Bxd5 {Mit Mehrbauern und besserer Stellung.} )
( 13...Ne4 14.Nxe4 dxe5 15.Bxe5 Bxe5 16.Nf3 Bxb2 17.Rad1 Qe7 18.Bc4 {Der Läufer macht den Weg für den Turm frei; es droht Seg5+ mit Damengewinn. Schwarz hat einen Mehrbauern, aber dafür ein verlorenes Spiel.} )
( 13...Ng4 14.exd6 cxd6 15.Bxd6 {Droht Lxf8, also} 15...Re8 16.Ndb5 {Droht Sc7 mit Turmgewinn.} 16...Bxb5 17.Nxb5 )
( 13...Ng8 14.exd6 cxd6 {Weiß kann wie in der Vorvariante zu Lxd6 greifen oder mit Tad1 fortfahren.} 15.Rad1 Nc6 16.Ndb5 )
( 13...Nh5 14.Bxh5 gxh5 15.Qd3+ Kh8 16.exd6 cxd6 {Zu den vorherigen Varianten ist nun auch Sf5 interessant.} 17.Nf5 Bxf5 18.Qxf5 )
14.Bxe5
{Zwei offene Zentrumslinien.}
14...Ne4 $2
{Petrosian hätte besser mit Sc6 oder Te8 seine Entwicklung vorangetrieben. Vermutlich sah er hier die Möglichkeit, Tal seines Läuferpaares zu berauben. Tatsächlich ist dieser Zug der Anfang vom Ende: Tal gewinnt ein Tempo und münzt dieses in fortwährende Drohungen um.}
( 14...Nc6 {Verliert zwar einen Bauern, wäre aber wohl das kleinere Übel gewesen. Festhalten an dem Bauern führt zu Passivität.} 15.Nxc6 Bxc6 16.Qxd8 Rfxd8 17.Bxc7 {Immerhin stünde Schwarz jetzt Td2 zur Verfügung und er könnte zumindest vorläufig die Initiative übernehmen.} )
15.Nxe4 Bxe5 16.Nf3
{Sofort wird der Läufer befragt.}
16...Bg7
{Der sofortige Rückzug ist als Tempoverlust zu bewerten. Weiß steht bereits deutlich besser entwickelt, so dass De7 zur Deckung des Läufers bei gleichzeitiger Aktivierung der Dame besser gewesen wäre.}
( 16...Bxb2 {Sogar schlechter als Lg7. Weiß kann einfach seinen Angriff aufbauen, die Musik spielt am Königsflügel.} 17.Rad1 {Der Bauernraub ist nur ein weiterer Tempoverlust, denn zurück muss er früher oder später ohnehin. Weiß kann mit den gespielten Zügen fortsetzen!} )
17.Rad1 $1
{Nun hat Tal beide Türme im Zentrum. Der Sb8 kann nicht weg, da sonst der Ld7 verloren geht.}
17...Qc8
{Dame und Läufer sollen die Linie verlassen, das kostet zwei Tempi.}
18.Bc4 $1
{Nicht nur, dass der Läufer ziehen muss, damit weitere Figuren ins Spiel kommen können, steht Petrosian bereits voll in Tals Angriffssturm!}
18...Be8
( 18...Be6 {mit Angriff auf den Läufer geht nicht, da Tals Angriff kurzerhand den Läufer mitnimmt. Zunächst erfolgt analog zum Spiel } 19.Neg5+ hxg5 20.Nxg5+ Kg8 21.Rxe6 $1 {Nach fxe6 kommt Lxe6+ mit Doppeldrohung gegen die Dame, nach anderen Zügen folgt der neuen Stellung entsprechend einfach De3 mit Blick nach g6 oder Txg6 (f7 ist gefesselt) oder Sxf7 (sofern dann Txf7 folgt Te7, da Tf7 nun gefesselt ist).} 21...fxe6 22.Re1 $1 {Man muss nicht sofort zugreifen, das Feuer kann noch angefacht werden!} )
19.Neg5+ $1
{Springeropfer zum Auftakt des Finales!}
19...hxg5
( 19...Kh8 {Wohl besser als Petrosians Antwort. Aber objektiv ist Nehmen alternativlos, da Petrosian dem Angriff nichts entgegenzusetzen hat. Also kann er nur die Angreifer dezimieren. Gleiches täte nach Kh8 der Weißspieler.} 20.Qf4 Nc6 21.Nxf7+ Bxf7 22.Bxf7 )
20.Nxg5+ Kg8
{Einzige sinnvolle Option, da Kh8 oder Kh6 zum Matt führen.}
21.Qf4
{droht Dh4 nebst Dh7#.}
21...Nd7
{Petrosian weiß, dass er verloren hat. Mit Df5 hätte er die Niederlage noch etwas verschleppen können. Das Manöver Dh4 nebst Dh7# scheitert jetzt allerdings an Sf6!}
22.Rxd7
{Also weg mit dem potentiellen Verteidiger.}
22...Bxd7
{Falls nun Dh4, dann öffnet Te8 dem König ein Fluchtfeld. Also muss ein besserer Plan her.}
23.Bxf7+
{Petrosian gibt angesichts der Drohungen auf.}
( 23.Bxf7+ {droht } 23...Kh8 24.Qh4+ {nebst Dxh6# } )
( 23.Bxf7+ Rxf7 24.Qxf7+ Kh8 25.Qxg6 {droht Matt auf h7; auf Kg8 folgt Te7 nebst Dxg7#.} 25...Bf5 26.Nf7+ Kg8 27.Nh6+ Kh8 28.Nxf5 {usw., das Matt ist nicht mehr abzuwenden.} )
1-0
Vabanque - 19. Aug '23
Tolle Partie, die ich noch gar nicht kannte.

Erstaunlich, dass man einen Exweltmeister derart im Hurra-Stil besiegen kann!

Aber so selten Petrosians Niederlagen waren (!), wenn er mal verlor, verlor er in der Regel höchst drastisch.

Die Partie zeigt sehr schön, dass Tals Stil auf Linienöffnungen basiert. Man meint oft, man müsse das doch nachmachen können, es sieht doch alles so einfach und geradlinig aus ... aber wenn man dann selber diesen Stil versucht, erkennt man doch, wie schwer es ist.

'Wie gewinnt Michail Tal? Er entwickelt seine Figuren alle in die Brettmitte und opfert sie dann irgendwo.' Ich glaube, dieses Zitat wird Fischer zugeschrieben, es passt aber zu der Partie wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge.

Irgendwie erscheint mir ja schon nach dem 12. Zug der Wurm drin bei Schwarz, denn alle Alternativen, die du danach für Schwarz noch aufzeigst, enden zwar nicht mit sofortigem Niedergang, aber auf jeden Fall bereits mit weißem Vorteil.

Also kann man davon ausgehen, dass Petrosian bereits die Eröffnung verkorkst hat ... und das mit lauter völlig plausiblen Zügen!😮
Tschechov - 28. Aug '23
Ein bemerkenswertes Aufeinandertreffen zweier schachlich völlig unterschiedlicher Temperamente. Der Defensivkünstler Petrosjan gegen den Angriffsspieler Tal und die Offensive trägt den Sieg davon.
Rubo - 30. Aug '23
,,,danke, lieber @SF Oli1970, Olav, toll. mfg. Frank
Vabanque - 30. Aug '23
>>Tschechov - 28. Aug '23
Ein bemerkenswertes Aufeinandertreffen zweier schachlich völlig unterschiedlicher Temperamente. Der Defensivkünstler Petrosjan gegen den Angriffsspieler Tal und die Offensive trägt den Sieg davon.<<

Die Partie lässt aber Petrosjan nicht Gerechtigkeit widerfahren. Erstens hat er oft wirklich Stellungen gehalten, wo dies ganz unwahrscheinlich schien, und zweitens gibt es von Petrosjan auch Angriffspartien!