Games with comments

100 Jahre Schach (IX) 1980-89 : Ivantschuk-Karjakin

Kellerdrache - 21. Jul '16
Wie bei der letzten Partie die Vabanque hier vorgestellt hat handelt es sich bei dem vorliegenden Exemplar um eine Schnellschachpartie. Ivantschuk ist bisher in unserem Forum nicht oft aufgetaucht. Seine Partien sind zwar oft sehr schön aber eben so oft auch sehr kompliziert.
Insofern ist die folgende Begegnung kein typisches Exemplar und ich hoffe, dass es mir gelungen ist die Partie allen verständlich zu machen.

Ivanchuk, Vassily Karjakin, Sergei Amber Tournament | 2008 | B87 | 1:0
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. e4 c5 2. Sf3 d6 3. d4 xd4 4. Sxd4 Sf6 5. Sc3 a6 6. Lc4 e6 die sogenannte Scheveningen-Variante, die sich durch das "kleine" Zentrum e6 und d6 auszeichnet. 7. Lb3 Schwarz spielt sowieso b5, also zieht Weiß den Läufer vorsorglich weg. Sonst käme 7...b5 8.Lb3 b4 9. Sce2 Sxe4 b5 8. Lg5 Schwarz droht nach b4 auf e4 zu schlagen. Durch die Fesselung des Springers ist das erstmal verhindert. Le7 9. Df3 Die Drohung ist e5 wonach der Turm a8 und der Sf6 hingen. Dc7 e5 geht zwar immer noch, kann aber jetzt mit Lb7 pariert werden 10. e5 Lb7 11. xd6 Lxd6 Die Dame kann nicht schlagen, da sie an die Deckung des Lb7 gebunden ist. 12. De3 Lc5 Die Möglichkeit die Fesselung des Springers auf d4 auszunutzen ist zu einladend. Auf g2 einen Bauern zu nehmen und damit eine Linie auf dem Flügel zu öffnen in den man hinein rochieren will hat Karjakin nicht erwogen. 13. O-O-O Sc6 Der Druck auf den Sd4 wird erhöht. Diese Stellung kam schon vor dieser Partie auf das Brett. Die übliche Fortsetzung war hier 14.Lxf6 gxf6 und z.B. Sce2 14. Dxe6+!! Bis zu diesem Zug war diese Eröffnung der Theorie bekannt. Bei einem Spaziergang analysierte Ivantschuk die Stellung im Kopf und fand das vorliegende Damenopfer. Der schwarze Bauernschild wird zertrümmert und der eben noch schwache Springer dringt in die gegnerische Stellung ein. Zusätzlich ist Karjakins König in der Mitte stecken geblieben. Aber es ist trotzdem eine volle Dame die hier ins Geschäft gesteckt wird. xe6 15. Sxe6 Greift die Dame, den Läufer auf c5 und den Bauern auf g7 an. De5 Der Zug sieht etwas seltsam aus, aber die Alternativen sind nicht besser. Die Dame zieht aus dem Angriff und deckt den Läufer.
De7 deckt erst mal alles, aber... 16. The1 bringt ernste Probleme
16. Sxg7+ Kf8 Ke7 kam wegen The1 natürlich nicht in Frage 17. Se6+ Karjakin hat nur die Wahl in die e-Linie zu wandern, wo er nach The1 sehr ungesund steht oder in ein Abzugsschach zu ziehen Kf7 18. The1 Das Abzugsschach läuft einem nicht weg und der letzte Teilnehmer wird aufs Schalchtfeld geführt. Dxe1? Gibt die Dame zurück und gewinnt dafür einen Turm, aber Weiß muss ja nicht direkt zuücknehmen.
Alternativen wären Df5 19. Sxc5+ Kg6 20. Lxf6 Kxf6 Nimmt die Dame geht sie nach Te6 vom Brett 21. Td6+ Kg7 22. Se6+ und das beste ist es vermutlich die Dame zurückzugeben
oder Dxh2 19. Sxc5+ Kg6 20. Lxf6 Kxf6 21. Te6+ Kf5 22. Td5+ beides sieht nicht einladend aus.
19. Sxc5+ Kg6 20. Txe1 Kxg5 21. Sxb7 der Rauch verzieht sich. Karjakin hat eine Qualität mehr, doch dafür hat sein Gegner nicht nur 3 Bauern, was mehr als genung materielle Kompensation bietet sondern auch den geflohenen König als Angriffsziel Sd4 22. Sd6 die jeweiligen Springer werden zentralisiert. Weiß droht mit Sf7+ König und Turm zu gabeln Thf8 23. f3 beugt möglichen Angriffen durch den Abzug des Sf6 vor und nimmt dem Springer das Feld g4 b4 ein naheliegender Zug, aber vielleicht wäre es besser gewesen mit Ta7 einen flexiblen Verteidiger ins Spiel zu bringen, der bei Bedarf jederzeit den Flügel wechseln kann. 24. Sce4+ Sxe4 25. Txe4 Besser als mit dem Springer zu nehmen, der ja auf d6 bereits gut steht. Ivantschuks Zug aktiviert den Turm und zwingt den Sd4 zurEntscheidung Sxb3+ 26. xb3 Dieser Doppelbauer ist wirklich nicht schwach und so muß Weiß den Angriff des Schwarzen auch nicht fürchten. a5 27. Tg4+ Kf6 der König will sich nicht auf der h-Linie abschneiden lassen 28. Se4+ Ke5 Der König spielt aktiv. Da Weiß nur noch Turm und Springer hat muss man sich nicht vor Matt im Zentrum fürchten. 29. Th4 a4 Hier merkt man, dass es sich um eine Schnellschachpartie handelt und wahrscheinlich langsam die Zeit knapp wurde. Ta7 um den h-Bauern zu verteidigen wäre klar besser gewesen. 30. xa4 Txa4 31. Sc5 greift den Ta4 an und droht die Gabel auf d7. Karjakins Antwort ist daher erzwungen. Ta1+ 32. Kd2 Tg8 33. g3 Tf1 34. Ke2 Tb1 35. Txb4 Jetzt sind es bereits 4 Bauern für die Qualität und Schwarz hat kein erwähnenswertes Gegenspiel. Kd5 36. Se4 und wieder eine Gabeldrohung. Diesmal auf f6. Außerdem verhindert der Springer die Belästigung des Turms mit Kc5 Kc6 37. h4 der fleissige Springer auf e4 übernimmt ja auch die Deckung des g3 Th1 um g4 zu verhindern 38. Tc4+ Kb6 Erzwungen, da Kd5 und Kd7 beide mit der Springergabel auf f6 beantwortet worden wären. 39. b4 Td8 40. Tc5 Schwarz hat keine wirklichen Drohungen Ta8 41. c3 Ta2+ Karjakin weist dem weissen König mit seinen Schachs den Weg in die Sicherheit. 42. Ke3 Te1+ 43. Kf4 Tf1 44. Th5 Ta8
Ta7 45. Th6+ Kb5 46. Sd6+ Ka4 ist auch nicht schön, behält aber immerhin vorläufig den Bauern auf h7
45. Th6+ Kb5 46. Sd6+ selbst in einer gewonnenen Stellung wird immer noch der perfekte Zug gesucht. Bevor Ivantscuk den Bauern nimmt wird der König vom Hauptschauplatz vertrieben Ka4 47. Txh7 Kb3 48. Tc7 Td8 49. Sf5
PGN anzeigen
[Event "Amber Tournament "]
[Date "2008.??.??"]
[White "Ivanchuk, Vassily"]
[Black "Karjakin, Sergei"]
[Result "1-0"]
[ECO "B87"]
[PlyCount "97"]
[EventDate "1985.??.??"]

1. e4 c5 2. Nf3 d6 3. d4 cxd4 4. Nxd4 Nf6 5. Nc3 a6 6. Bc4 e6 {die sogenannte
Scheveningen-Variante, die sich durch das "kleine" Zentrum e6 und d6
auszeichnet.} 7. Bb3 {Schwarz spielt sowieso b5, also zieht Weiß den Läufer
vorsorglich weg. Sonst käme 7...b5 8.Lb3 b4 9. Sce2 Sxe4} b5 8. Bg5 {Schwarz droht nach b4 auf e4 zu schlagen. Durch die Fesselung des Springers ist das
erstmal verhindert.} Be7 9. Qf3 {
Die Drohung ist e5 wonach der Turm a8 und der Sf6 hingen.} Qc7 {
e5 geht zwar immer noch, kann aber jetzt mit Lb7 pariert werden} 10. e5 Bb7 11.
exd6 Bxd6 {
Die Dame kann nicht schlagen, da sie an die Deckung des Lb7 gebunden ist.} 12.
Qe3 Bc5 {Die Möglichkeit die Fesselung des Springers auf d4 auszunutzen ist zu
einladend. Auf g2 einen Bauern zu nehmen und damit eine Linie auf dem Flügel
zu öffnen in den man hinein rochieren will hat Karjakin nicht erwogen.} 13.
O-O-O Nc6 {Der Druck auf den Sd4 wird erhöht. Diese Stellung kam schon vor
dieser Partie auf das Brett. Die übliche Fortsetzung war hier 14.Lxf6 gxf6 und
z.B. Sce2} 14. Qxe6+ !! {Bis zu diesem Zug war diese Eröffnung der Theorie
bekannt. Bei einem Spaziergang analysierte Ivantschuk die Stellung im Kopf und
fand das vorliegende Damenopfer. Der schwarze Bauernschild wird zertrümmert
und der eben noch schwache Springer dringt in die gegnerische Stellung ein.
Zusätzlich ist Karjakins König in der Mitte stecken geblieben. Aber es ist
trotzdem eine volle Dame die hier ins Geschäft gesteckt wird.} fxe6 15. Nxe6 {
Greift die Dame, den Läufer auf c5 und den Bauern auf g7 an.} Qe5 {Der Zug sieht etwas seltsam aus, aber die Alternativen sind nicht besser. Die Dame zieht
aus dem Angriff und deckt den Läufer.} (15... Qe7 {
deckt erst mal alles, aber...} 16. Rhe1 {bringt ernste Probleme}) 16. Nxg7+ Kf8
{Ke7 kam wegen The1 natürlich nicht in Frage} 17. Ne6+ {Karjakin hat nur die
Wahl in die e-Linie zu wandern, wo er nach The1 sehr ungesund steht oder in
ein Abzugsschach zu ziehen} Kf7 18. Rhe1 {Das Abzugsschach läuft einem nicht
weg und der letzte Teilnehmer wird aufs Schalchtfeld geführt.} Qxe1 ? {
Gibt die Dame zurück und gewinnt dafür einen Turm, aber Weiß muss ja nicht
direkt zuücknehmen.} ({Alternativen wären} 18... Qf5 19. Nxc5+ Kg6 20. Bxf6
Kxf6 {Nimmt die Dame geht sie nach Te6 vom Brett} 21. Rd6+ Kg7 22. Ne6+ {
und das beste ist es vermutlich die Dame zurückzugeben}) ({oder} 18... Qxh2 19.
Nxc5+ Kg6 20. Bxf6 Kxf6 21. Re6+ Kf5 22. Rd5+ {
beides sieht nicht einladend aus.}) 19. Nxc5+ Kg6 20. Rxe1 Kxg5 21. Nxb7 {
der Rauch verzieht sich. Karjakin hat eine Qualität mehr, doch dafür hat sein
Gegner nicht nur 3 Bauern, was mehr als genung materielle Kompensation bietet
sondern auch den geflohenen König als Angriffsziel} Nd4 22. Nd6 {die jeweiligen
Springer werden zentralisiert. Weiß droht mit Sf7+ König und Turm zu gabeln}
Rhf8 23. f3 {beugt möglichen Angriffen durch den Abzug des Sf6 vor und nimmt
dem Springer das Feld g4} b4 {ein naheliegender Zug, aber vielleicht wäre es
besser gewesen mit Ta7 einen flexiblen Verteidiger ins Spiel zu bringen, der
bei Bedarf jederzeit den Flügel wechseln kann.} 24. Nce4+ Nxe4 25. Rxe4 {
Besser als mit dem Springer zu nehmen, der ja auf d6 bereits gut steht.
Ivantschuks Zug aktiviert den Turm und zwingt den Sd4 zurEntscheidung} Nxb3+
26. axb3 {Dieser Doppelbauer ist wirklich nicht schwach und so muß Weiß den
Angriff des Schwarzen auch nicht fürchten.} a5 27. Rg4+ Kf6 {
der König will sich nicht auf der h-Linie abschneiden lassen} 28. Ne4+ Ke5 {
Der König spielt aktiv. Da Weiß nur noch Turm und Springer hat muss man sich
nicht vor Matt im Zentrum fürchten.} 29. Rh4 a4 {Hier merkt man, dass es sich
um eine Schnellschachpartie handelt und wahrscheinlich langsam die Zeit knapp
wurde. Ta7 um den h-Bauern zu verteidigen wäre klar besser gewesen.} 30. bxa4
Rxa4 31. Nc5 {greift den Ta4 an und droht die Gabel auf d7. Karjakins Antwort
ist daher erzwungen.} Ra1+ 32. Kd2 Rg8 33. g3 Rf1 34. Ke2 Rb1 35. Rxb4 {
Jetzt sind es bereits 4 Bauern für die Qualität und Schwarz hat kein erwähnenswertes Gegenspiel.} Kd5 36. Ne4 {und wieder eine Gabeldrohung. Diesmal auf f6.
Außerdem verhindert der Springer die Belästigung des Turms mit Kc5} Kc6 37. h4
{der fleissige Springer auf e4 übernimmt ja auch die Deckung des g3} Rh1 {
um g4 zu verhindern} 38. Rc4+ Kb6 {Erzwungen, da Kd5 und Kd7 beide mit der
Springergabel auf f6 beantwortet worden wären.} 39. b4 Rd8 40. Rc5 {
Schwarz hat keine wirklichen Drohungen} Ra8 41. c3 Ra2+ {
Karjakin weist dem weissen König mit seinen Schachs den Weg in die Sicherheit.}
42. Ke3 Re1+ 43. Kf4 Rf1 44. Rh5 Ra8 (44... Ra7 45. Rh6+ Kb5 46. Nd6+ Ka4 {
ist auch nicht schön, behält aber immerhin vorläufig den Bauern auf h7}) 45.
Rh6+ Kb5 46. Nd6+ {selbst in einer gewonnenen Stellung wird immer noch der
perfekte Zug gesucht. Bevor Ivantscuk den Bauern nimmt wird der König vom
Hauptschauplatz vertrieben} Ka4 47. Rxh7 Kb3 48. Rc7 Rd8 49. Nf5 1-0

Vabanque - 21. Jul '16
Sehr schön, am Ende steht es 5 Bauern gegen 0, so etwas sieht man selten :)
Vabanque - 21. Jul '16
Ups ... jetzt sehe ich erst den DICKEN FEHLER, und zwar in der Überschrift:

Es muss doch 2000-2009 heißen! ;)
Colorado77 - 22. Jul '16
Gute Kommentierung einer spektakulären Partie. Diese Variante wird Gottlob aus schwarzer Sicht kein Untergang des Sozin Systems sein.
Gerade mal meine Corr-DB gecheckt: Ich kannte das auch nicht...
Die Sache ist die, dass Schwarz sofort die Dame zurückopfern sollte mit 15....De6 16.The1 Dxe6! 17.Txe6+ Se7 18.Lxf6 gxf6 19.Txf6 Tf8 =/=+.
Hier hat Schwarz leichtes Spiel, und die Figur ist vlt. sogar minimal besser als die 3 Bauern.
Colorado77 - 22. Jul '16
15...De7 natürlich
Vabanque - 22. Jul '16
Ok, aber das am Brett zu finden?!
Colorado77 - 22. Jul '16
Psychologie vermutlich, es ist schwer das Material wieder zurückzugeben sofort und ohne grossen Vorteil. Von der Rechenleistung her waren das nur ja 10 Halbzüge, die einfach waren. Einfacher als die Verwicklungen später.
Objektiv wollte ich mit meinem Hinweis sagen, verdient Dxe6 also keine 2 "!!", eher ein "!?"
Kellerdrache - 22. Jul '16
Das mit der Überschrift ist mir doch tatsächlich durchgegangen. Bevor wir jetzt Karjakin allzu sehr kritisieren weil er 15...De7 nicht gefunden hat sollten wir zwei Dinge nicht vergessen. Zuallererst kannte er ja (im Gegensatz zu uns )den Ausgang der Partie nicht und wusste nicht wie verhehrend das alles enden würde. Vielleicht hat er es ja gesehen aber geglaubt, dass auf andere Art mehr herauszuholen wäre.
Und man darf auch nicht vergessen, dass es eine Neuerung war, die er von einem der besten Spieler der Welt in einer Schnellschachpartie präsentiert bekam. Da sollte man auch den Druck nicht unterschätzen.