Games with comments

Flockiges Intermezzo: Bill Gates - Magnus Carlsen 2014

Vabanque - 28. Jan '14
Auf vielfachen Wunsch stelle ich hier mal zwischendurch zum Drüberstreuen eine Partie vor, die sich von den bisher gebrachten Partien doch in vielerlei Hinsicht unterscheidet. Vielleicht wird dieses Game ja einmal zwar nicht unter die großen Partien der Schachgeschichte, jedoch unter die großen Events der Menschheitsgeschichte eingereiht werden. Wie ich schon einmal bemerkt habe, ist es in den Kommentaren zu pgn-Dateien nicht möglich, Smileys einzubauen (die damit verbundenen Klammern führen dazu, dass das pgn nicht mehr funktioniert). Daher bitte ich die geneigten Nachspielenden, die ironischen Stellen in meinen Kommentaren diesmal selbst herauszufinden ;)
Im Übrigen möchte ich mit meinen Kommentaren Carlsen bestimmt nicht diffamieren. Für mich hat er den Status des neuen Capablanca, und die Schachwelt kann dankbar sein, dass wir ihn haben. Ich werde ihm in den 'Kommentierten Spielen' ein eigenes Kapitel widmen, von dem diese Partie allerdings NICHT den ersten Absatz bildet :))

Bill Gates Magnus Carlsen Television Exhibition | London ENG | 2014.01.23 | 0:1
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. e4 Ein guter Zug von Bill Gates. Sc6 Carlsen antwortet mit der selten gespielten (aber nicht schlechten) Nimzowitsch-Verteidigung, die ich bisher von ihm noch nicht gesehen habe. Offenbar ist er dabei, sein Eröffnungsrepertoire zu erweitern. 2. Sf3 Gates vermeidet die Hauptvariante, die nach d2-d4 entsteht. Aber der Textzug ist ebenso spielbar. d5?! Keine gute Antwort; Schwarz öffnet das Spiel zu frühzeitig, was ihm als Nachziehenden nicht zukommt. Das sollte zu einigen Problemen führen. Weiß könnte jetzt am einfachsten auf d5 tauschen und Sc3 folgen lassen, wonach sich eine für Schwarz eher ungünstige Variante der Skandinavischen Verteidigung ergibt, wo die Springerstellung auf c6 nicht ins System passt. 3. Ld3!? Gates überrascht den jungen Weltmeister mit einem Zug, der vermutlich eine theoretische Neuerung darstellt. Ich konnte jedenfalls keine Partie in der Datenbank finden, in der dieser Zug bereits vorher vorgekommen wäre. Dies weist Gates als kreativen Spieler aus. Auch David Bronstein und Tony Miles haben gelegentlich solche Züge angewandt. Sf6?! Wenn Carlsen Gates' Neuerung als fragwürdig nachweisen wollte, hätte er Sb4 spielen müssen. Dieser Zug sieht jedenfalls für mich am logischsten aus, und Stockfish bestätigt mir tatsächlich meine Idee. Carlsens Zug lässt die Initiative wieder an Weiß übergehen. 4. xd5! Dxd5 5. Sc3 Dh5?! Kein gutes Feld für die Dame. Jetzt hätte Weiß mit 6. Sb5! Schwarz schon zur Aufgabe der Rochade mit Kd8 zwingen können. 6. O-O? Nach seinem kreativen Höhenflug lässt Gates leicht nach. Der Textzug ist ein fader Routinezug, der Schwarz ausgleichen lässt. Lg4 7. h3? Weiß sollte zuerst Le2 spielen, um die Zersplitterung seiner Königsflügelbauern zu vermeiden. Se5?? Ein inkorrektes Springeropfer, das glatt verlieren sollte. Schwarz konnte mit Lxf3! 8. Dxf3 (erzwungen; auf gxf3 folgt Dxh3) nebst Damentausch und O-O-O jetzt die deutlich bessere Stellung erlangen. 8. xg4 Sxg4 9. Sxe5?? Gates lässt sich ohne Not einzügig mattsetzen. Es drohte freilich auch Sxf3+ nebst Matt auf h2, aber dem war ganz leicht durch 9. Te1 zu begegnen. Hätte Gates das gespielt, so wäre er gegen den amtierenden Weltmeister nach nur 9 Zügen auf Gewinn gestanden! Es wäre sehr interessant gewesen zu sehen, was Carlsen dann gespielt hätte. Gegen einen seiner Großmeisterkollegen hätte er dann sicher sofort aufgegeben, aber gegen Gates? Da hätte er wohl noch im Trüben zu fischen versucht. Wie wäre diese Partie dann wohl ausgegangen? Niemand kann diese Frage mit letzter Sicherheit beantworten. Dh2# Schachmatt, ganz banal und ohne Finesse. Gates hat es dem jungen Champion hier zu leicht gemacht, und das gerade in dem Moment, wo er doch schon auf der Siegerstraße war.
PGN anzeigen[Event "Television Exhibition"]
[Site "London ENG"]
[Date "2014.01.23"]
[EventDate "?"]
[Round "-"]
[Result "0-1"]
[White "Bill Gates"]
[Black "Magnus Carlsen"]

1. e4 {Ein guter Zug von Bill Gates.} Nc6 {Carlsen antwortet mit der selten gespielten (aber nicht schlechten) Nimzowitsch-Verteidigung, die ich bisher von ihm noch nicht gesehen habe. Offenbar ist er dabei, sein Eröffnungsrepertoire zu erweitern.} 2. Nf3 {Gates vermeidet die Hauptvariante, die nach d2-d4 entsteht. Aber der Textzug ist ebenso spielbar.} d5?! {Keine gute Antwort; Schwarz öffnet das Spiel zu frühzeitig, was ihm als Nachziehenden nicht zukommt. Das sollte zu einigen Problemen führen. Weiß könnte jetzt am einfachsten auf d5 tauschen und Sc3 folgen lassen, wonach sich eine für Schwarz eher ungünstige Variante der Skandinavischen Verteidigung ergibt, wo die Springerstellung auf c6 nicht ins System passt.} 3. Bd3!? {Gates überrascht den jungen Weltmeister mit einem Zug, der vermutlich eine theoretische Neuerung darstellt. Ich konnte jedenfalls keine Partie in der Datenbank finden, in der dieser Zug bereits vorher vorgekommen wäre. Dies weist Gates als kreativen Spieler aus. Auch David Bronstein und Tony Miles haben gelegentlich solche Züge angewandt.} Nf6?! {Wenn Carlsen Gates' Neuerung als fragwürdig nachweisen wollte, hätte er Sb4 spielen müssen. Dieser Zug sieht jedenfalls für mich am logischsten aus, und Stockfish bestätigt mir tatsächlich meine Idee. Carlsens Zug lässt die Initiative wieder an Weiß übergehen.} 4. exd5! Qxd5 5. Nc3 Qh5?! {Kein gutes Feld für die Dame. Jetzt hätte Weiß mit 6. Sb5! Schwarz schon zur Aufgabe der Rochade mit Kd8 zwingen können.} 6. O-O? {Nach seinem kreativen Höhenflug lässt Gates leicht nach. Der Textzug ist ein fader Routinezug, der Schwarz ausgleichen lässt.} Bg4 7. h3? {Weiß sollte zuerst Le2 spielen, um die Zersplitterung seiner Königsflügelbauern zu vermeiden.} Ne5?? {Ein inkorrektes Springeropfer, das glatt verlieren sollte. Schwarz konnte mit Lxf3! 8. Dxf3 (erzwungen; auf gxf3 folgt Dxh3) nebst Damentausch und 0-0-0 jetzt die deutlich bessere Stellung erlangen.} 8.
hxg4 Nfxg4 9. Nxe5?? {Gates lässt sich ohne Not einzügig mattsetzen. Es drohte freilich auch Sxf3+ nebst Matt auf h2, aber dem war ganz leicht durch 9. Te1 zu begegnen. Hätte Gates das gespielt, so wäre er gegen den amtierenden Weltmeister nach nur 9 Zügen auf Gewinn gestanden! Es wäre sehr interessant gewesen zu sehen, was Carlsen dann gespielt hätte. Gegen einen seiner Großmeisterkollegen hätte er dann sicher sofort aufgegeben, aber gegen Gates? Da hätte er wohl noch im Trüben zu fischen versucht. Wie wäre diese Partie dann wohl ausgegangen? Niemand kann diese Frage mit letzter Sicherheit beantworten.} Qh2# {Schachmatt, ganz banal und ohne Finesse. Gates hat es dem jungen Champion hier zu leicht gemacht, und das gerade in dem Moment, wo er doch schon auf der Siegerstraße war.} 0-1
vlaminck - 29. Jan '14
3. Ld3 wurde schon einmal gespielt in einer Fernschachpartie des DESC von Marco Philippy gegen Uwe Schäfer im Jahr 2005 (nach meiner Datenbank mit knapp 5,5 Millionen Partien)

Grüße
vlaminck
Vabanque - 29. Jan '14
Schade, dann kommt Gates also doch nicht das Verdienst zu, eine Neuerung im 3. Zug gefunden zu haben ... so spektakulär wäre die Neuerung aber eh nicht gewesen ;)
Flixer - 29. Jan '14
Danke für die Kommentierung des Spieles etwas anderer Art.

Wichtig ist natürlich zu berücksichtigen, das Carlsen nur 30 Sekunden Zeit für seine ganzen Züge hatte. Dies sollte man meiner Meinung nach berücksichtigen, denn Carlsen hatte gar nicht die Möglichkeit, ein ruhiges positionelles Spiel zu spielen - zu groß das Risiko, dass er auf Zeit verliert - 30 Sekunden sind ja quasi nichts, da schon alleine die physische Handlung des Setzens der Figur und des Uhrendrückens fast eine Sekunde verbraucht. Ganz ungeachtet der Zeit, die man benötigt, um die umgeschmissenen Figuren seines Gegners aufzustellen.

So war es meines Erachtens vollkommen richtig die Stellung schnell zu öffnen und auch der Se5 Zug macht in diesem Zusammenhang Sinn, um den Gegner unter größeren Druck zu setzen. Dein vorgeschlagenes Lxf3! bringt schwarz sicherlich in Vorteil, aber kann er in den verbleibenden 20 Sekunden Matt setzen? Die Damen wurden bereits abgetauscht, es besteht ein positioneller, aber kein materieller Vorteil. Ich finde die Entscheidungen Carlsens eigentlich aus dieser Perspektive richtig, vor allem wenn man bedenkt, dass er sie in Sekundenbruchteilen getroffen hat.

Viele Grüße,
Felix
Vabanque - 29. Jan '14
Das hast du natürlich alles richtig und schön geschrieben! Vor dem Hintergrund der Zeitvorgabe sah sich der feine Positionsspieler Carlsen gezwungen, quasi als schachlicher Höhlenmensch zu agieren, und die primitive große Keule auszupacken :))

Wobei ich denke, er hätte gegen Gates sogar bei dieser Bedenkzeit positionell gewonnen. Es wäre gut möglich gewesen, dass irgendwann Gates weniger Zeit auf der Uhr gehabt hätte als Carlsen. Ich habe Ähnliches vielfach in meiner früheren Schachclubzeit erlebt. Da haben wir bei großen Spielstärkeunterschieden öfters mal mit Zeitvorgabe geblitzt. Der stärkere Spieler nahm 1 Minute, der schwächere hatte die üblichen 5 Minuten. Nicht selten kam es dabei vor, dass der Spieler mit 5 Minuten auf Zeit verloren hat ...
toby84 - 30. Jan '14
ich denke, carlsen wollte hier das bieten, was die meisten (vermutlich größtenteils wenig schachversierten) zuschauer gerne sehen: ein visuell beeindruckendes überrennmanöver, und das hat er geschafft ;) ein positioneller sieg sieht für das ungeübte auge einfach nicht so beeindruckend aus.