Chess

Ist Abtauschen prinzipiell gut?

underdunk - 29. Dez '22
Hallo Schachfreunde,

zum Zeitvertreib mache ich ganz gerne die Aufgaben bei lichess und dabei habe ich immer wieder den Verdacht, dass Abtauschvarianten bevorzugt werden. Nach dem Lösen der Aufgabe mache ich dann ganz gerne Stockfish an und schaue mir andere Varianten an. Meistens ist das Abtauschen notwendig, aber hin und wieder erlangt man ohne abzutauschen den gleichen Qualitätsgewinn. Inzwischen frage ich mich, ob das Abtauschen generell gut ist.

Hier ein konkretes Beispiel:
https://lichess.org/training/SIQ3f

Nach 1) Lxe6+ Dxe6 2) Dxc5 ist ein Läufer gewonnen. Stockfish findet aber 1) Dxe7 Lxe7 2) Lxe6 besser. Gleicher Qualitätsgewinn, aber die Damen sind vom Brett.

Ich bin auf Eure Antworten gespannt 😊
Tschechov - 29. Dez '22
Eine Engine beurteilt ja nach ihren eigenen Maßstäben, in die unsere normalsterblichen Fähigkeiten nicht eingespeist sind. Ich persönlich würde bspw. die Spielstärke meines Gegenübers in meine Berechnungen miteinbeziehen, wenn ich mich frage, ob ein Damentausch ratsam ist. Ist mein Kontrahent stärker oder schwächer als ich? In letzterem Fall hätte ich gegen einen Damentausch, so nichts anderes entgegen steht, zumindest nichts einzuwenden, während ich bei einem stärkeren Gegner immer versuchen würde, die Dame zu behalten.
Als ich anfing, Schach zu spielen, so vor fünf Jahren etwa, dachte ich, es sei genau umgekehrt und es sei eine gute Idee, dem stärkeren Gegner den Damentausch anzutragen. Ich musste dabei an ein Fußballspiel im Rahmen des DFB-Pokals denken, bei dem die schwächere Mannschaft (ein Drittligist, wenn ich mich recht erinnere) die Erneuerung des heimischen Rasens auf einen Zeitpunkt nach dem Aufeinandertreffen mit Bayern München verschob. Ein schlechter Rasen musste ja eine Rumpeltruppe eher begünstigen, bei der sowieso zahlreiche Pässe im Nirgendwo landen. Ganz ähnlich stellte ich mir das im Schach auch vor. Hier ist es aber meiner Erfahrung nach ganz anders, der schwächere Spieler sollte versuchen, die Dame zu behalten, weil mit ihr immer noch Tricks möglich sind.
Tschechov - 29. Dez '22
Im Übrigen ist es meiner bescheidenen Meinung nach bei Qualitätsgewinn ratsam, die Dame gleich mit abzutauschen, wenn das möglich ist. Der Nachteil für denjenigen, der qualitativ im Minus ist, wird ja immer größer, je mehr Figuren abgetauscht werden.
toby84 - 29. Dez '22
und was machst du in deiner variante nach Sf2? nicht nur, dass du den springer nicht fängst. da drohen sowohl Sxd1 als auch Sd3. die damenabtauschvariante endet mit schach, das ist der entscheidende vorteil.

und allgemein gilt: gut stehende figuren will man normalerweise nicht mit schlecht stehenden figuren tauschen. wenn man aber schon gewinnmaterial hat, kann man damit die stellung vereinfachen. damit nimmt man dem gegner möglichkeiten zum gegenangriff.
Vabanque - 29. Dez '22
In dem konkreten (lichess-) Beispiel hat toby natürlich Recht, nach Lxe6+ nebst Dxc5 gewinnt Schwarz mit Sf2 zumindest einen Teil des Materials zurück.
Aber es ist auch das richtig, was bereits Tschechov geschrieben und toby noch einmal bekräftigt hat: Bei Materialvorteil ist im Allgemeinen weiterer Abtausch anzustreben, denn je weniger Figuren der Gegner dann noch hat, desto weniger Chancen hat er auf Gegenspiel. Umgekehrt wird deswegen jemand, der Material verloren hat, unbedingt versuchen, noch möglichst viele Figuren auf dem Brett zu halten und Abtausch unbedingt zu vermeiden versuchen.
Man muss dabei allerdings - und das gilt generell für Abtauschaktionen, auch bei Materialgleichheit - immer beachten, dass einem am Ende der Abwicklung nicht etwa die 'schlechten' (also die unwirksam postierten) und dem Gegner die 'guten' (also die aktiv bzw. wirksam aufgestellten) Figuren übrig bleiben. Gerade bei einem geringen Materialgewinn (wenn es sich z.B. nur um ein oder 2 Bauern oder um Turm gegen Leichtifigur oder 2 Leichtfiguren gegen einen Turm handelt) muss man aufpassen, dass der Gegner danach nicht Kompensation in Form der aktiveren Figurenstellung erhält. Dieses Problem kann sich durch weiteren Abtausch durchaus auch verschlimmern. Z.B. glauben viele Spieler, dass sich durch Damentausch oder generell durch Abtausch der Schwerfiguren die Wucht des gegnerischen Angriffs abschwächt. Häufig stimmt das natürlich, aber es gibt auch Fälle, wo nach dem Damentausch der Entwicklungsvorsprung bzw. die höhere Figurenaktivität noch besser zur Geltung kommt.

Was den Abtausch bei Materialgleichheit betrifft, so haben 'Leute' wie Capablanca und Fischer die Kunst beherrscht, genau daraus Vorteil zu ziehen. Oft haben Gegner dieser Schachkünstler versucht, durch Abtausch möglichst vieler Figuren die Stellung zu 'vereinfachen' und zum Remis zu verflachen. Doch Capa bzw. Fischer richteten es immer so ein, dass mit jedem Abtausch ihre eigene Stellung besser wurde, sie schafften es immer, dass dem Gegner die 'schlechten' (siehe oben) und ihnen selbst die 'guten' Figuren blieben. Und gerade bei geringem Material wirken sich diese Unterschiede umso fataler aus. Im Endspiel ist es häufig leichter, einen Positionsvorteil zur Geltung zu bringen.

In einem Lehrbuch für Anfänger las ich mal vor vielen Jahren: 'Ein Abtausch gleichwertiger Figuren macht nur Sinn, falls es einem in den Plan passt.' Ein Anfänger kann mit diesem Satz natürlich überhaupt nichts anfangen. (Das ist jetzt fast ein unbeabsichtigtes Wortspiel geworden😉) Wie sehen denn die Pläne aus, in die ein Abtausch passt bzw. nicht passt? Ich denke aber, wenigstens Teilaspekte davon haben wir jetzt zusammen erörtert.
wodi - 29. Dez '22
@Vabanque

Sehr gut erklärt, das könnte ich auf keinen Fall besser (ich bin Lizenztrainer).
Vabanque - 29. Dez '22
@wodi: Danke dir.

Ich kann leider den Thread nicht mehr finden, in dem mir SF RELOADED (über 2200 Punkte) öffentlich bestätigt hatte, dass ich keine Ahnung von Schach habe und nur Unsinn labere. Ich hätte ihn sonst hier verlinkt.

Den Thread, in dem mir SF Phantom bescheinigt hat, dass ich ein Troll bin, finde ich auch nicht mehr, vielleicht auch besser so.
Vabanque - 29. Dez '22
Es schrieb mir auch mal jemand (ehemaliges Mitglied) per PN, ich wäre ein Anfänger, der sich nur wichtig machen will. Nun, jeder mag hier selbst entscheiden, ob das zutrifft, oder ob ich in der Lage bin, für durchschnittliche Spieler Tipps zu geben. Natürlich werden starke Spieler weder von meinen allgemeinen Hinweisen noch von meinen Partiekommentaren profitieren, da mache ich mir keine Illusionen, aber für die starken Spieler sind meine Kommentare auch nicht gedacht.
messalina - 29. Dez '22
Was mir noch fehlt: es ist gut, alle Bauern abzutauschen, wenn man eine Figur weniger hat. Weil Turm+Figur gegen Turm ist oft remis und mit einer Leichtfigur kann man nicht mattsetzen. Das bleibt aber oft ein frommer Wunsch, leider, weil der mit der Mehrfigur mehr Möglichkeiten hat den Abtausch zu verhindern.
Vabanque - 29. Dez '22
Ja genau, im Endspiel versucht generell derjenige, der schlechter steht, möglichst viele Bauern zu tauschen. Denn wie SF messalina schon schreibt, ganz ohne Bauern genügt eine Leichtfigur mehr in der Regel nicht zum Sieg, es muss schon ein Turm sein. Aber auch wenn noch Bauern verbleiben, wird die Remistendenz meist umso größer, je weniger davon auf dem Brett sind, vor allem dann, wenn sich alle Bauern auf einem Flügel befinden. In Turmendspielen ist 2 gegen 1 Bauer auf einem Flügel fast immer remis, und 3 gegen 2 Bauern sehr häufig. Auch in Leichtfigurenendspielen sind die Remischancen der schwächeren Partei groß, wenn alle Bauern auf einem Flügel sind. Natürlich gibt es auch Gewinnstellungen mit einem einzigen verbleibenden Bauern, nicht nur im reinen Bauernendspiel, sondern auch im Turmendspiel (Lucenasche Gewinnstellung) und im Läuferendspiel mit gleichfarbigen Läufern. Aber ebenso sind bei diesen Konstellationen auch genügend Remisstellungen bekannt.

Dann ist es im Endspiel auch noch so, dass Schwerfiguren eher eine Remistendenz haben als Leichtfiguren. D.h. der schlechter Stehende tauscht im Endspiel in der Regel besser die Leichtfiguren komplett ab (mit Ausnahme von ungleichfarbigen Läufern), so dass nur Schwerfiguren auf dem Brett bleiben, vor allem Türme. Der besser Stehende versucht dagegen eher die Schwerfiguren tauschen, da in den meisten Typen von reinen Leichtfiguren-Endspielen (ungleichfarbige Läufer wieder ausgenommen) schon ein Mehrbauer zum Sieg reicht. In Endspielen mit Läufern kommt es allerdings noch sehr darauf an, auf welcher Farbe die Bauern stehen, sowohl die eigenen wie auch die gegnerischen. Und bei Endspielen Springer gegen Läufer kommt es darauf an, ob die Stellung offen oder blockiert ist und wie weit die Bauern auseinander stehen (denn damit kommt der Springer schlechter zurecht als der Läufer!).

Einschränkend muss man noch anfügen, dass in taktisch betonten Stellungen sowohl die ungleichen Läufer wie auch die Schwerfiguren das Gegenteil einer Remistendenz bewirken: hier gewinnt meist der Spieler, der die Initiative hat, denn er kann mit Mattdrohungen operieren, die z.B. der gegnerische Läufer wegen der falschen Felderfarbe nicht decken kann. Aber auch mit 2 Türmen oder mit Turm plus Dame lassen sich tückische Mattdrohungen aufbauen. Das alles sind aber dann trotz reduziertem Material eher Mittelspielstellungen als Endspiele.
Vabanque - 29. Dez '22
Und dann ist es noch generell so: Wenn ich im Angriff bin, sind mir die Springer lieber als die Läufer. In der Verteidigung sind mir die Läufer lieber. Ich weiß aber nicht, ob das bloß mein Gefühl ist, oder ob noch jemand anders diese Erfahrung gemacht hat oder ob das sogar noch irgendwo steht. Denn alles, was wir oben sonst geschrieben haben, kann man wohl auch in der Schachliteratur finden. Aber kann jemand bestätigen oder widerlegen, dass Springer in der Regel im Angriff besser sind, Läufer in der Verteidigung besser?
Alapin2 - 29. Dez '22
Vabanque :... Wenn ich im Angriff bin, sind mir die Springer lieber... usw.
Aha, Vabanque verrammelt also gern und spielt geschlossen!?
In dem Fall mag das häufig zutreffen, ansonsten m. E. völlig aus der Luft gegriffen!
Vabanque - 29. Dez '22
>>Aha, Vabanque verrammelt also gern und spielt geschlossen!?<<

Ach so, du meinst, weil in geschlossenen Stellungen die Springer besser durchkommen (was eine Tatsache ist)?
Mein Gefühl ist eher so, weil Springer mehr taktische Möglichkeiten bieten.

Ich weiß nur, dass Tschigorin die Springer den Läufern vorzog. Ich habe das noch von ein paar anderen Spielern gelesen, habe leider vergessen, von wem, meine mich aber vage zu erinnern, dass das auch alles taktische bzw. Angriffsspieler waren.

Vielleicht also nicht ganz aus der Luft gegriffen, auch wenn es sich wirklich nicht sauber begründen lässt.
Alapin2 - 29. Dez '22
Vabanque : Ich bin völlig anderer Meinung, denke jedoch, wenn wir uns jetzt vermeintliche Beweise und Gegenbeweise um die Ohren hauen, hat das nix mehr mit der Ursprungsfrage von Underdunk zu tun. Ich mag es gern übersichtlich... Das ist m. E. schon jetzt nicht mehr der Fall.
Vabanque - 29. Dez '22
Naja, es hat schon insofern damit zu tun, als dass es darum geht: Welche Figuren sollte man tauschen?

Wir können natürlich gerne einen neuen Thread dafür aufmachen.
Vabanque - 29. Dez '22
Meine Formulierung war sowieso unglücklich, und so wie ich sie geschrieben habe, ist meine 'Regel' ganz sicher unhaltbar.

Sagen wir es - auch im Hinblick auf das Threadthema - lieber so:

Bin ich im Angriff, behalte ich lieber die Springer und vermeide, dass mein Gegner sie mir wegtauscht.
Bin ich in der Verteidigung, versuche ich die Springer des Gegners zu tauschen.

(Lassen wir die Läufer in diesem Zusammenhang besser mal außen vor, das war zu wenig durchüberlegt.)
underdunk - 29. Dez '22
Vielen Dank für eure Beiträge. Stimmt, Toby, jetzt wo Du es sagst, weiter als bis zum Qualitätsgewinn hatte ich wohl nicht geschaut.

Dass in der gesuchten Variante mit Schach genommen wird ist mir da wohl entgangen, bzw. war mir nicht die Bedeutung klar. Da man so auch den Springer bekommt, ist wohl diese Variante auch vom Qualitätsgewinn besser. Das Rätsel hatte für mich wohl zu früh aufgehört.

Vermutlich denke ich auch in den anderen, vermeintlichen gleichwertigen Varianten, einfach zu kurz. Und mit Stellungsvorteilen tue ich mich schwer dies zu beurteilen.
Vabanque - 29. Dez '22
So geht es uns allen: entweder wir rechnen einen Zug zu wenig weit, oder wir rechnen zwar weit genug, und sogar korrekt, können aber die entstehende Stellung nicht beurteilen.
HermannAusPoll - 30. Dez '22
Hallo, hab mir diese spezielle Sache nicht angesehen, kann nur aus meiner Erfahrung bzw. das weiter geben, was ich aus alten Schachbüchern weiß.
1.) Wenn man "mehr Holz" hat, ist ein Tauschen meistens vorteilhaft.
2.) Wer "gleich viel Holz" hat, aber passiver steht, sollte zumeist tauschen, dann ist eine Niederlage unwahrscheinlicher.
Allerdings kommt es bei beiden GRUNDSÄTZEN auf den Einzelfall an, es sind nur 2 Tendenzen.
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